berliner szenen: Sherry und Magenbitter
Bei den Saufpoeten
Es ist später Samstagabend, und die U-Bahnen sind voll wie zu den Hauptverkehrszeiten am Tag. Vorwiegend junge Menschen sind unterwegs, alle auf dem Weg in die Cafés, Bars und Lounges, in die Clubs und Discos. Zu so später Stunde noch zu einer Lesung zu gehen mutet ein wenig seltsam, etwas altmodisch an. Aber, hey, dafür ist es im „Roten Salon“! Eine Party wird es danach auch noch geben!
Etwas später wird deutlich, dass so eine gute samstagabendliche Lesung, wie sie Alexis Krüger liefert, viel besser sein kann als vermutet, kein bisschen langweilig oder zäh. Man zieht genüsslich an der Zigarette, das Publikum gehört den selbst drehenden Tabakanhängern an, nippt an Weißweinschorle und amüsiert sich über die Geschichten übers Trinken. Unter dem Titel des Abends „Durst!“ präsentiert Krüger Texte von Flann O’Brien, Urs Widmer und Eugen Egner. Schriftsteller brauchen Musen und Erleuchtungen, erzählt er uns. Aber vor allem Alkohol. Wie z. B. Hemingway und Poe.
Krüger (Jahrgang 1972) ist ausgebildeter Sprecher, was man seiner Lesung gleich anmerkt: Er gestikuliert, schüttelt sich, krächzt und akzentuiert mal das R rollend, dann wieder das P spuckend. Je nach Text verzieht er das Gesicht, und das junge Publikum im vollen Saal schmunzelt, kichert oder lacht sogar laut auf. Die Mittzwanziger bis Enddreißiger vernehmen Texte über das Starkbier, „unangenehme, farblose Kotze“, Eierlikör, Sherry, Magenbitter und lustige Episoden, in denen „Flüsse Koteletten tragen“. Nach einigen Bieren im warmen Magen und dem warmen Applaus für den Vorlesemeister zieht man in die kalte Nacht und wundert sich, ob all die coolen Bargänger auch ohne Saufliteratur so einen netten Abend hatten.
JAN DIMOG TANJUAQUIO
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