: berliner szenen Shoppen statt Schnattern
Resignierte Verkäufer
Momentanen ist nicht gut flanieren, bei minus 17 Grad Celsius gefühlte Temperatur wirkt die lässige Leichtigkeit des Großstadtschlenderers gewollt. Aber zum Einkaufen ist das Wetter ideal! In der Neuen Schönhauser liegt Ladentür neben Ladentür, Etablissements, die man seit Jahren boykottiert hatte, weil sie zu teuer oder blöd aussahen, sucht man jetzt dankbar auf. Alle halbe Meter lockt eine Tür, und so dringt die Kälte niemals in die Knochen. Raus aus dem Laden, zwei Schritte laufen und wieder rein, an den Kleiderständern vorbeistreifen, die kalten Finger über die teuren Stoffe gleiten lassen und weiter.
So kann man sich bequem vorwärtsarbeiten, nur in dem Geschäft mit dem urnenartigen Geschirr stinkt es so sehr nach Duftkerze, dass wir vor der Erwärmungsphase gehen müssen. Seltsam leer ist es auf den Straße und noch leerer in den Geschäften. Die Verkäuferinnen scheinen schon seit Tagen freundlich resigniert und beschäftigungslos hinter ihren Edeltresen zu sitzen. Einsame Ladenbesitzer hängen „Bin gleich zurück“-Schilder an die Tür und besuchen sich untereinander. Liegt es an der Kälte oder doch an den Peisen? Können sich jetzt noch nicht einmal Mitte-Touristen zerknitterte Herrenhemden für 190 € leisten?
Im neuen Dieselshop, wo es angeblich wenige Tage zuvor bei der Eröffnungsparty mit Enie van der Meiklokjes hoch herging, sind wir allein mit den Boygroup-Verkäufern. Eine vermummte Gestalt verfolgt uns seit einiger Zeit, geht uns in jedes Geschäft nach, macht auch die Biegung zu Adidas mit.Will sie von unseren Erfahrungen profitieren – uns als Personal Shopper missbrauchen? In der Alten Schönhauser hängen wir sie ab, weil sie vor dem Hippieladen mit gebatikten Leinensäcken verweilt. CHRISTIANE RÖSINGER
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