bascha mika über Leidenschaften: Der Spross als Wille und Wahn
Wer keinen Nachwuchs hat, muss sich peinlichen Fragen stellen oder peinigenden Behandlungen unterziehen
Wahnsysteme entwickeln sich schnell und unmerklich. Getarnt als Leidenschaft und Begeisterung kommen sie daher. Dabei haben sie die Grenze zur Obsession längst überschritten.
Der Deutschen Lieblingswahn ist zurzeit das Kind, genauer: der gnadenlose Wille zu eigen Fleisch und Blut. Damit stehen sie nicht alleine da; die eigenen Gene auf Teufel komm raus zu reproduzieren grassiert als fixe Idee in vielen westlichen Ländern. Das Kind als Heilmacher des Lebens: von den Medien gepuscht, von den Politikern benutzt, von konservativen Familienideologen gefeiert, von der Reproduktionsmedizin kommerzialisiert, selbst im Kino eingeflüstert – wie in Franka Potentes Hollywood-Film „Blow“. Der Kinderdiskurs ist in Deutschland so populär wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr. Als hätten die versammelten menschlichen Sehnsüchte nur ein Ziel – ein Kind in die Welt zu setzen.
Dabei geht es nicht etwa um die bitter notwendige kinder- und familienfreundlichere Gesellschaft. Es geht schlicht um Kinder als Gehilfen zur Erfüllung des Erwachsenenglücks. Damit Männer und Frauen auch diese Erfahrung noch haben – der Vollständigkeit halber. Spätestens seit der Frauenbewegung glaubten wir sicher zu sein vor dem dummen Geschwätz, das kinderlose Frauen als defizitär und bedauernswert denunziert. Im Freundeskreis beobachten wir jetzt die bekennende Mutter, die die bekennende Nichtmutter nachsichtig belächelt oder fast wie einen Krüppel umsorgt. Uns darf ein Psychoanalytiker wie Wolfgang Schmidbauer quälen, der von der „enormen psychischen Aufgabe“ schwafelt, die kinderlose Frauen zu bewältigen hätten, da „der Stress der Mutterschaft“ leichter zu ertragen sei als der „Stress der Kinderlosigkeit“.
Indes entdecken die Medien das „Abenteuer Kind“ und die neuen Zeiten, da „überraschend viele Frauen neuerdings ihre Erfüllung nicht mehr im Beruf, sondern im Zusammenleben mit Kindern suchen“. Eine ideale Folie für die rot-grüne Regierung, die die „Selbstverwirklichung in der Familie“ gesichtet hat (Vater Gerhard Schröder, Bundeskanzler), da sie die „Keimzelle des Staates“ sei (Mutter Renate Schmidt, bayerische SPD-Landesvorsitzende). Auch die Grünen loben plötzlich familiäre Sinnfülle und verstümmeln ihre Frauen- zur Familienpolitik. Nichts passt Politikern besser als die Vollzeit- und Vollblutmutter, die dem aussterbenden Volksganzen ein Kind gebärt und sich selbst um die Brutpflege kümmert, statt Kindergärten und Ganztagsschulen einzuklagen, Arbeitsplätze zu fordern und die Arbeitslosenstatistik in die Höhe zu treiben.
Unter Druck geraten alle, die keinen Nachwuchs vorweisen können. Vor allem die, die unfreiwillig verzichten. Gerade sie laufen Gefahr, sich emotional auf etwas zu fixieren, was für sie so schwer zu haben ist. Dieser Wahn hat einen Namen: Severino Antinori. Der Mann ist Spezialist für künstliche Befruchtung und weltweit agierender Marketingdirektor der Reproduktionsmedizin. Antinori sorgt dafür, dass der Markt das Angebot bereit hält, und er stimuliert gekonnt die Nachfrage. Es gibt ein Menschrecht auf Kinder, sagt er. Warum sagt er nicht gleich, es gebe ein Menschenrecht auf bleibende Gesundheit und rote Haare? Ein übles Spiel mit Sehnsucht und Suggestion, als wäre die menschliche Existenz bis ins Letzte verfügbar.
Allein in Deutschland versuchen jährlich knapp 40.000 Frauen, künstlich schwanger zu werden – Tendenz steigend. Die Ärzte führen 65.000 Behandlungen durch; die Krankenkasse zahlt vier Versuche pro Frau. Nur bei 12 bis 15 Prozent aller begonnenen Behandlungen trägt eine Frau dann tatsächlich ein Kind nach Hause. Für diese kleine Chance lassen sich die Wunschmütter mit hochdosierten Hormonen vollpumpen, riskieren, dass ihre Eierstöcke bedrohlich anschwellen, sich im Bauch lebensgefährlich Wasser ansammelt, sie mit speiender Übelkeit kämpfen – von der unerforschten Krebsgefahr mal ganz zu schweigen. Es ist ein grandioser Stress, dem sich Frauen und die dazugehörigen Männer aussetzen. Dieser Widersinn heißt dann, sich nichts sehnlicher zu wünschen als ein Kind.
Wie wär’s stattdessen mit mehr Gelassenheit? Der neue gesellschaftliche Graben zwischen Eltern und Nichteltern erweist sich spätestens dann als lächerlich, wenn man über Zweierbeziehung und Kleinfamilie hinaus auf den Verwandten- und Bekanntenkreis guckt, in dem ganz sicher die verschiedensten Lebensstile gepflegt werden. Dann ginge es vielleicht auch einmal nicht nur um leibliche Kinder, sondern auch um solche, die in Pflege-, Adoptiv- und Betreuungsverhältnissen leben.
Meldung aus Italien: Drama in Kleinstadt. Zwei Kinder kurz nach Geburt im Krankenhaus vertauscht. Mädchen beide klug, gesund, munter – aber jahrelang in falschen Familien aufgewachsen. Verwechslung jetzt entdeckt – Betrug an den eigenen Genen treibt Väter fast in den Wahnsinn. Müssen sich in psychiatrische Behandlung begeben – beide.
Fragen zu Leidenschaften? kolumne@taz.de
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