autoren, schöne blumen etc.: Antiquiert: Heinz Schlaffers kurze Literaturgeschichte
Hol dir den Kick mit Büchner
1834 veröffentlichte Heinrich Heine seine Schrift „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Franzosen das deutsche Denken kurz zu skizzieren, damit sie die deutsche Literatur besser verstünden und vor den Büchern deutscher Autoren nicht wie vor „stummen Blumen“ stünden und ihnen das Ganze irgendwie vorkommt, ohne zu wissen, warum.
Was der Germanist Heinz Schlaffer in seiner „Kurzen Geschichte der deutschen Literatur“ (Hanser Verlag, 160 Seiten, 12,90 €) versucht, ist etwas Ähnliches, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Er will kurz die deutsche Literatur nacherzählen und kommt zu höchst unfröhlichen Einschätzungen: Die meisten Blumen der deutschen Autoren können ruhig stumm bleiben. Es handele sich dabei, so Schlaffer, um provinzielle, langweilige und geistig rückständige Gewächse, die man besser in den Bücherregalen verstauben ließe – inklusive Heinrich Heine.
Nun könnte man diese zugespitzten Überlegungen auf sich beruhen lassen: Keiner der Autoren, die in diesem Buch entweder nicht vorkommen oder wie Kafka als etwas schreckhafter Narr vorgeführt werden, wird daran einen Schaden nehmen. Nicht gleichgültig allerdings ist, wie in diesem Buch über Literatur gesprochen wird: Schlaffer liefert zu einer antiquierten Art, über Literatur nachzudenken, so etwas wie historische Schärfentiefe. Sein Schreibstil über Literatur passt zu einer Literatur, die glücklicherweise verabschiedet ist: zu jenen Postavantgardisten, die nach 1970 aus ihren literarischen Hemmungen ihren Kick bezogen haben. Autoren wie Paul Celan und Peter Weiss kommen deswegen bei Schlaffer vergleichsweise gut weg.
Am liebsten aber würde Schlaffer nur über zwei Autoren schreiben, über Georg Büchner und über Karl Marx. Aber da das nicht einmal eine sehr kurze Literaturgeschichte ergäbe, baut er um diese beiden Schriftsteller zwei Höhepunkte deutscher Literatur herum: die Zeit zwischen 1750 und 1830 und die zwischen 1900 und 1950. In diesen beiden Zeitaltern blühte für Schlaffer die deutsche Literatur: Sie war zukunftsorientiert und verklärte den Fortschritt. Geschichte konnte gut ausgehen, zunächst bei den Bürgern, die an die Macht kommen wollten, und dann bei den Schriftstellern, die die bürgerlichen Freiheitsvorstellungen gegen rabiat gewordene Kleinbürger verteidigten. Literatur konnte in diesen Zeiten etwas Freundlich-Optimistisches haben.
Deswegen liebt Schlaffer den Autor Büchner auch auf seine spezielle Art: „Zugleich mit der alten Ideenwelt entwertet Büchner den traditionellen Formenkanon.“ Literaturzertrümmerung gilt für Schlaffer als Ausweis von Literatur: Derjenige Autor verteidigt die bessere Zukunft, der sich in seinem Formenreichtum einschränkt. Das sind zwar nicht alles finstere Glaubenssätze, zu denen ernst und schwer die protestantischen Kirchenglocken läuten, denn Spaß und Freude dürfen selbstverständlich auch sein. Aber diese Glaubenssätze haben noch immer ein gewisses Gewicht. Und das, obwohl sich eine jüngere Generation von Autoren gegen die alte Literatur der Bundesrepublik durchzusetzen begonnen hat und glücklicherweise die abgestandenen Avantgarde-Reprisen der Siebzigerjahre hinter sich lässt.
Eine neue Generation von Autoren jedenfalls bewegt sich nicht mehr in den alten Denkklischees von schlechter Gegenwart und guter Zukunft. Und vor allem begreifen sie das Erzählen als eine große und bleibendere Herausforderung.
Genau an diesem Punkt versagt diese „Kurze Literaturgeschichte“: Von Literatur ist nur sehr zurückhaltend die Rede. Lieber spricht Schlaffer von religiösen, philosophischen und sozialen Voraussetzungen, die bei der Entstehung dieser Literatur eine Rolle gespielt haben. Das Wort „schön“ kommt nur ein einziges Mal vor, und so bleiben selbst die Blumen stumm, die Schaffer als besonders schön erblüht ansieht, ganz zu schweigen von den vielen krummen Gewächsen.
Gravierend schlägt sich Schlaffers vollendet gestrige Sicht auch in seinen Vorstellungen vom Autor nieder. Diese Figur scheint für ihn kaum mehr als ein Anhängsel meist widriger Umstände zu sein und damit viel zu schwach, um so etwas wie geistige Unabhängigkeit zu erlangen.
Merkwürdigerweise ist Schlaffer dort der Literatur aber am nächsten, wenn er den Autor gegen dessen angeblich literaturvereitelnde Lebensumstände in Schutz nehmen möchte: Immer wieder hätten sich die deutschen Autoren einen neuen Anfang suchen müssen, da Traditionen nie richtig ausgebildet werden konnten. Wenn aber etwas für die deutschen Autoren und deren Literatur spricht, dann ist es exakt das: dass sie unablässig nach neuen Anfängen suchen mussten und einige von ihnen es auch taten. Denn in nichts anderem als genau in der Suche nach neuen Anfängen sollte ein Prinzip des Schreibens gesehen werden.
So schlecht kann die Literatur in deutscher Sprache also gar nicht gewesen sein und ist sie heute auch nicht – fehlt jetzt noch eine neue Art, sich über sie zu verständigen!
KLAUS SIBLEWSKI
Der Autor ist Lektor im LuchterhandVerlag
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