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Sprachenpolitik in der UkraineKein Schutzstatus mehr für die russische Sprache

Die ukrainische Regierung will Russisch von der Liste des Europarates zum Schutz von Minderheitensprachen streichen lassen. Das stößt auch auf massive Kritik.

Will Russisch als Minderheitensprache nicht mehr anerkennen: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Foto: Danylo Antoniuk/imago

Mönchengladbach taz | Das ukrainische Kabinett will die Liste der in der Ukraine geschützten Minderheitensprachen modifizieren. Mit seinem Gesetzentwurf, den die Autoren als Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen verstehen, werden Russisch und Moldauisch von der Liste geschützter Sprachen gestrichen. Gleichzeitig wird die Liste um Tschechisch sowie Hebräisch als Ersatz für „jüdisch“ ergänzt.

Weiter geschützt bleiben: Belarussisch, Bulgarisch, Gagausisch, Krimtatarisch, Neugriechisch, Deutsch, Polnisch, Rumänisch, Slowakisch und Ungarisch. Die ukrainische Regierung begründet die Änderungen mit der Notwendigkeit, die Sprachenliste an die aktuellen geopolitischen, gesellschaftlichen und sprachlichen Entwicklungen anzupassen.

Ostap Ukrajinec, Philologe und Soldat, begrüßt den Gesetzentwurf. Das Konzept einer „geschützten Sprache“ setze voraus, dass eine Sprache bedroht sei. Die russische Sprache sei aber nicht bedroht. Moskau, so Ukrajinec, instrumentalisiere die russische Sprache aggressiv. In diesem Fall könne man eine Sprache nicht mehr als neutrales Kommunikationsmittel ansehen.

In der Ukraine gebe es, so Ukrajinec, praktisch keine klar definierte „russische nationale Minderheit“, also keine Gruppe von Bürgern, die russisch als Muttersprache sprechen und deren Rechte gemäß europäischem Recht speziell geschützt werden müssten.

Scharfe Kritik

Die ukrainische Politikwissenschaftlerin Anastasia Piliavsky, Professorin für Anthropologie und Politik am King’s College in London, die ständig zwischen Odessa und Cambridge pendelt, kritisiert den Gesetzentwurf scharf. Dieser verletze Artikel 10 der ukrainischen Verfassung, in dem der russischen Sprache und anderen Sprachen nationaler Minderheiten eine freie Entwicklung und Nutzung gewährt werde.

Solange Russisch als Minderheitensprache anerkannt sei, könne man der Ukraine vorwerfen, die Rechte der russischsprachigen Minderheit systematisch zu verletzen. Das stelle ein Hindernis für den EU-Beitritt dar, so Piliavsky.

Ironischerweise werde nun versucht, das Problem zu lösen, indem man Russisch aus dem Schutzbereich ausschließe. Wer russischsprechenden Ukrainern das Recht entziehe, ihre Sprache öffentlich und im Bildungswesen zu nutzen, grenze aus und spalte. Letztlich spielten derartige Sprachkonflikte Russland in die Hände. „Dieser Gesetzentwurf ist ein direkter Angriff auf die Idee einer pluralistischen, geeinten Ukraine.“

Der ebenfalls in Odessa lebende Blogger und Anarchist Wjatscheslaw Asarow sieht in dem Gesetzentwurf einen politischen Schachzug. Mit diesem Schritt wolle man die Ukraine formal in Einklang mit europäischen Minderheitenschutzstandards bringen, da die russische Sprache dann nicht mehr unter den Anwendungsbereich dieser Normen falle.

Keine praktischen Auswirkungen

Dadurch entziehe man dem russischsprachigen Teil der ukrainischen Bevölkerung die rechtliche Grundlage, sich auf europäische Schutzmechanismen zu berufen, weil die Sprache juristisch nicht mehr als Minderheitensprache anerkannt wäre.

Laut Vyacheslav Lichatschev vom Zentrum für bürgerliche Freiheiten, das 2022 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, habe eine Streichung der russischen Sprache von der Liste der Minderheitensprachen keine praktischen Auswirkungen. Das Recht zum Gebrauch von Sprachen regelten andere Gesetze.

Somit sei das eine symbolische Änderung. Lichatschev ist gegen eine permanente Einschränkung des Gebrauchs der russischen Sprache. Gleichzeitig sei eine derartige Maßnahme während des Krieges und für einen gewissen Zeitraum danach vertretbar.

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