auf der suche nach der deutschen leitkultur: Eine Recherche der taz und des KulturRadios Lotte in Weimar*
„Bekommt der Begriff den Geschmack eines Superioritätsanspruchs“
Giwi Margwelaschwili, Berliner Schriftsteller
Die deutsche Leitkultur hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Meine Eltern sind 1921 aus Georgien emigriert. Ich wuchs dann in der deutschen Sprache auf. Die sowjetische Besatzungsmacht verschleppte mich nach Georgien. Ein deutschsprachiger Georgier in Georgien aber war ein absolutes Rätsel für die Leute. Trotzdem versuchte ich natürlich Russisch und Georgisch zu lernen. Deshalb finde ich an der Forderung von Friedrich Merz, dass sich Zuwanderer der deutschen Leitkultur anzupassen hätten, auch nicht viel zu beanstanden. Das Problem aber ist, dass der Begriff auf der Kommunikationsebene den Geschmack eines Superioritätsanspruchs bekommt.
Wir Schriftsteller, die wir hier in deutscher Sprache schreiben, aber nicht von deutscher Abstammung sind, wir haben hingegen nochmals einen ganz anderen Status. Unser Outsidertum mittendrin in der deutschen Leitkultur bringen wir nolens volens in unser Schreiben mit ein und versuchen daraus etwas Kreatives zu schlagen: Nämlich das Problem der Begrenzung – und wie man sie loswird. Das ist – schriftstellerisch, künstlerisch, kritisch – das Umgehen mit dem Problem des Geleitetseins. Deleuze schreibt von dieser minoritären Literatur in seinem Kafka-Buch. Und da sagt er: Wenn überhaupt jemand Literatur macht, dann sind es diese Schriftsteller, die von außerhalb in eine Leitkultur verschlagen wurden.
* „Zuwanderer müssen sich der deutschen Leitkultur anpassen“ (Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion)
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