auf augenhöhe: Philipp Gessler über Imbisse und Literaten
Der Abschied von der Currywurst
Mit der „Literarischen Currywurst“ hat es angefangen. Damit begann mein Abschied von den heiß geliebten Schweinefleischröhrchen, benetzt mit Tomatenketchup und Currypulver. Das ging so: Eines Morgens, vor nicht allzu langer Zeit, radelte ich die Friedrichstraße entlang und überquerte Unter den Linden, als ich ihn sah: einen etwas verwahrlost ausschauenden, schwarzhaarigen Mann, Mitte 30 wohl, gekleidet in einer Phantasie-Uniform, Stil Nelson, mit Schulterklappen samt goldenen Bommeln, die man heute nur noch an alten, schweren Gardinen sieht. Eine „Literarische Currywurst“ bot er an, wie die beiden Pappschilder an seiner Brust und seinem Rücken verkündeten. Unter den Schildern hatte er Büchsen hängen, in denen offenbar die Würstchen lagerten. Der Preis: sechs Mark. Ich fuhr einfach vorbei.
Früher hätte ich das nicht geschafft. Wenn ich zu meiner damaligen Wohnung in Kreuzberg wollte, kam ich am Mehringdamm an gleich drei Würstchenbuden vorbei, alle nur einen Steinwurf voneinander entfernt.
Spätestens am „Curry 36“ blieb ich regelmäßig hängen. Es war eine sentimentale Angelegenheit, denn hier spielte sich immer das Gleiche ab: „Eine Currywurst mit Darm und Pommes mit Mayo“, sagte ich. „Mit Darm und Pommes-Mayo“, flötete der bärtige Verkäufer, der immer dicker wurde. Er nahm Fritten aus dem Kühlschrank, warf sie ins Fett, nahm eine Wurst vom Grill, schnitt sie mechanisch, quetschte Ketchup darauf, puderte das ganze mit Curry, stapelte Pommes daneben. Das alles dauerte zwei, drei Minuten, doch dann kam sie, die Frage, wegen der ich umso lieber hierher kam: „Mit Mayo oder Ketchup?“
Er konnte sich das einfach nicht merken, aber das war nicht schlimm. Es gehörte dazu. „Kult“ nennt man das wohl. Später habe ich gelesen, dass Die Ärzte hier bei „Curry 36“ Stammkunden sein sollen, dass eine Bulgari-Party sich hierhier chauffieren ließ und dass auch schon Wolfgang Joop, zwei Senatoren und Lokalmatadore hier gegessen haben sollen. Solche Geschichten wärmen das Berliner Herz: Eine zerrissene Stadt, vereint am Currywurst-Stand.
Apropos zerrissen: Die Traditionsbude im Osten soll „Konnopke“ an der Schönhauser Allee sein – schon der Kanzler hat sich hier eine Wurst reingezogen. Seit 70 Jahren gibt’s den Laden. Der Vater der Chefin Waltraud Ziervogel soll die Currywurst 1960 in der Zone etabliert haben, nachdem er im Westen gesehen hat, wie sie gemacht wird.
Die echte Currywurst, so berichtete sie anlässlich des Jubiläums ihrer Bude, hat keinen Darm als Haut, sie wird auch nicht geschnitten, da sie dadurch ihr „Gesicht“ verliere. Und eigentlich gehörten auch keine Pommes dazu, sondern ein Brötchen. Dass jetzt immer mehr Leute sie mit Darm, geschnitten und mit Pommes haben wollten, das sei alles aus dem Westen gekommen, meinte Waltraud Ziervogel. Ich bin enttarnt: ein traditionsloser Wessi, der einen auf Berliner macht – und einer echten Currywurst wohl nicht würdig ist.
Vielleicht ist dieser Selbstzweifel der Grund, warum ich damals an der „Literarischen Currywurst“ vorbeifuhr. Womöglich ist es aber auch die in Zeiten von BSE selbst für Schweinefleischesser ziemlich eklige Antwort Waltraud Ziervogels auf die Frage, ob Currywurst denn gesund sei: „Na ja, wir leben noch“, hat sie gesagt. Macht das Appetit?
Ungeklärt am Ende auch die Frage, was das überhaupt war: die „Literarische Currywurst“. Eine Suche nach dem Literaten etwa eine Stunde nach der schicksalshaften Begegnung blieb erfolglos – der Mann war nicht mehr aufzufinden. Hat etwa auch er Abschied von der Currywurst genommen?
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