antisemitismus, schlüsselromane, faz etc.: Der Suhrkamp Verlag druckt wie vorgesehen Martin Walsers „Tod eines Kritikers“
Ende eines Ausnahmezustands
Suhrkamp wird Martin Walsers neuen Roman „Tod eines Kritikers“ wie vorgesehen drucken. Das gab der Verlag gestern bekannt. Es ist die einzig einleuchtende Entscheidung. Auch wenn Verlagschef Günter Berg sich der im Vorfeld von Marcel Reich-Ranicki (MRR) und anderen vertretenen Haltung angeschlossen hätte, das Buch möge, bitte schön!, erscheinen, aber nicht beim Suhrkamp Verlag, wäre das nichts anderes als ein fauler Kompromiss gewesen. Im Übrigen zeugt die Art und Weise, wie Reich-Ranicki nun die Verlagsentscheidung kommentiert, von großer Souveränität. Sie sei „sehr bedauerlich“, sagte er, „nur: Ein Skandal ist diese Entscheidung nicht“. In der Tat hat Walsers Buch einen Grad der Skandalisierung erfahren, die es in keiner Weise verdient hat.
Allerdings ist mit dieser Entscheidung die Debatte um den Roman keineswegs beendet. Im Gegenteil: Jetzt erst könnte sie eigentlich beginnen. Bisher war sie allzu sehr mit dem Coop des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher vom vergangenen Mittwoch verknüpft. In seinem Artikel, der die Sache zum Explodieren brachte, lehnte er den Roman nicht allein als Vorabdruck ab. Er rief zugleich eine Art geistigen Ausnahmezustand aus – als gelte es, nicht auf eine Fiktion, sondern auf einen leibhaftigen Mordversuch zu reagieren.
Die Verknüpfung des Falls Walser mit dem Fall FAZ bestätigte ungewollt Reich-Ranicki in seiner ZDF-Sendung vom Dienstag. Die das Walser-Buch verteidigenden Redakteure der Süddeutschen – die, nebenbei, keineswegs so allein stehen, wie MRR es nahe legte – kanzelte er allesamt mit dem Hinweis ab, sie seien als FAZ-Renegaten sowieso interessegeleitet. Zugleich unterschlug er, dass auch der scharfe Walser-Kritiker Uwe Wittstock, auf den er sich berief, einst eng der Frankfurter Zeitung verbunden war.
Wahrscheinlich ist es naiv, und die öffentliche Aufmerksamkeit hat sich dann längst wieder anderen Themen zugewandt. Aber vernünftig wäre es schon, die aufgeworfenen Fragen um Literatur, Walser und Antisemitismus ab dem 26. Juni noch einmal neu zu debattieren. Ab diesem Zeitpunkt wird der Roman Suhrkamp zufolge in den Buchhandlungen zu kaufen sein und nicht allein diejenigen, die sich den Text als Open-Source-Datei haben zumailen lassen, haben die Gelegenheit, die veröffentlichten Argumente auch zu überprüfen. Zudem wird sich die Aufregung abgekühlt haben – fürs Diskursklima eine eher günstige Voraussetzung.
Was in diesen Tagen publizistisch geschehen ist, sollte bis dahin aber keineswegs vergessen werden. Frank Schirrmachers einzigartiger Vorstoß bestand darin, die Diskursmacht der FAZ via Überrumpelung und rhetorischem Einsatz von vornherein in Diskurshoheit umzusetzen. Zu diesem Zweck war er bereit, nicht nur den Autor Martin Walser öffentlich zu opfern, sondern sich zugleich auch, was die Diskursregeln betrifft, wie ein Elefant im Porzellanladen aufzuführen. Er wollte keine Debatte führen, sondern ihre Entscheidung von Anfang an erzwingen. DIRK KNIPPHALS
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