al-qaida lebt: Jenseits des Terrorkrieges
Das Terrornetzwerk al-Qaida blüht und gedeiht. Es hat Filialen rund um den Globus und Investitionen in Höhe von hunderten Millionen Dollar. Es kann, sagt eine UN-Expertenkommission, nach wie vor zuschlagen, wann, wo und wie es will.
Kommentarvon DOMINIC JOHNSON
War also alles umsonst? Der Sturz der Taliban in Afghanistan, die Jagd nach Ussama Bin Laden in Tora Bora, die weltweite Fahndung nach Terroristen, das Säbelrasseln in Somalia, das Schnüren einer Schlinge rund um Saddam Hussein? Der ganze Krieg gegen den Terror – eine einzige Pleite?
Keineswegs. Natürlich bedeuten Regimewechsel in Kabul oder auch in Bagdad allein keinen Sieg über den Terror. Aber wenn das Taliban-Regime in Afghanistan noch bestünde und Bin Laden weiter aus Kandahar heraus seinen Krieg gegen die westliche Zivilsation befehligen würde – dann wäre al-Qaida heute weit stärker. Bin Ladens Anhänger hätten sich sicher nicht zur Ruhe gesetzt, wenn die USA auf einen Militärschlag gegen sie verzichtet hätten.
Der Krieg gegen den Terror hat al-Qaida nicht besiegt – aber sehr wohl geschadet. Klar war schon vor einem Jahr: Ein Netzwerk wie al-Qaida ist nicht mit einzelnen Militäroperationen zu bezwingen. Der internationale Terrorismus ist staatsfrei und entterritorialisiert – ein pures Produkt der Globalisierung, einem multinationalen Unternehmen ähnlicher als einer politischen Vereinigung. Staaten sind demgegenüber immer in der Defensive. Geldwäsche, Drogen- und Waffenschmuggel, illegale Rohstoffausbeutung – diese ganze halbkriminelle Dimension der Weltwirtschaft entzieht sich weitestgehend der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit.
Für eine effektive Terrorbekämpfung sind Fortschritte an dieser Stelle unerlässlich. Denn wenn im zivilen Bereich nichts funktioniert, bleibt nur noch die militärische Antwort – sie allein funktioniert auch ohne internationale Abstimmung.
Das heißt aber auch: Dass al-Qaida lebt, ist kein Argument gegen den Krieg. Es ist ein Argument dafür, das Nichtmilitärische nicht vor lauter Streit um den Krieg zu vergessen. Deutschland muss sich keinem amerikanisch-britischen Feldzug gegen den Irak anschließen. Aber als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde könnte es doch mal eine eigene, zivile Idee haben und umsetzen, statt immer nur die Ideen der anderen zu kritisieren. Wer in Abgrenzung zu den Irakkriegs-Vorbereitungen einen „deutschen Weg“ predigt, sollte auch sagen, worin der besteht.
ausland SEITE 10
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