ahnenforschung, flutkatastrophen etc.: Irgendwann werden sogar Eltern älter
Mit der Axt zerhacken
Wenn Eltern in Rente gehen, verschieben sich die Problemlagen. Mein Vater hatte früher sehr selten Zeit. Jetzt hat meine Mutter in einem Brief geschrieben: „Wir sitzen im Wohnzimmer und gucken den Regen draußen an. Wenigstens tut gerade nichts weh. Keine Zähne, kein Kopf, kein Rücken. Papi hat mir einen Philips-Toaster gekauft.“
Bei vielen Eltern folgt der Pensionierung nach einem langen Berufsleben die schüchterne Wiederentdeckung der vernachlässigten Freizeit. Mit einem neuen Hobby sollen die ungewohnt leeren Tage gefüllt werden. Während meine Mutter nun ausführliche Leserbriefe an die Zeitschrift Architektur & Wohnen schickt, besucht mein Vater die weitläufigen botanischen Gärten im Internet. Im eigenen Garten hat er im Februar zwei Meter tief die Erde ausgetauscht. Auch andere Eltern versuchen sich in der neuen Lebensphase sinnvoll zu betätigen. Sei es, dass sie Ahnenforschung betreiben, neue Möbel kaufen oder Lichtanlagen mit Zeitschaltuhr installieren.
Die Mutter einer Freundin schreibt jetzt sehr oft an die Redakteurinnen der Brigitte. Sie möchte gerne in einer Mütter-Töchter-Serie im Stil der alten Rubrik „Mein Mann ist Ausländer“ vorkommen. Die Brigitte hat bislang nur vorsichtiges Interesse angemeldet. Die meisten pensionierten Eltern fangen indes an zu reisen. Als im vergangenen Jahr die Flutkatastophe über Italien hereinbrach, erhielt ein Freund eine Postkarte aus dem Sumpfgebiet. „Dies ist die letzte Nachricht von deiner lieben Mutter. Lebewohl!“, stand darauf. Eine Woche später waren die Eltern wieder wohlbehalten zu Hause.
Als erwachsenes Kind betrachtet man diese Aktivitäten mit einem gewissen ängstlichen Misstrauen. Überhaupt geht man ab Mitte zwanzig behutsamer mit seiner Familie um. Die Gegnerschaft nimmt auf beiden Seiten ab. Sonst saß mein Vater mit Migräne im Arbeitszimmer. Seit der Rente ist er entspannter. Man hat das Gefühl, vieles interessiert ihn auch einfach nicht mehr.
Früher ging es einem oft so wie der sechsjährigen Anna, die findet: „Manchmal würde man Eltern am liebsten zertrampeln.“ Ihr siebenjähriger Bruder fügt hinzu: „Oder mit der Axt zerhacken.“ Die beiden waren vorher im Gespräch sehr höflich. Das Gute an Kindern ist, dass sie die ganze Zeit umherschlenkern und den Pullover von innen nach außen drehen, während sie erzählen. Das alles hat eine sehr große Ernsthaftigkeit. KIRSTEN KÜPPERS
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