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abgeknibbeltGleich und gleicher

Wir erkennen das Urteil nicht an“, steht da, oder: „Wie groß wäre der Skandal, würde jemand über ‚Bratwurstmorde‘ berichten?“ Solche Plakate hingen nicht lange nach dem Urteilsspruch im Münchner NSU-Prozess am Mittwochabend in Hamburg an den Wänden. Darauf ging es um etwas anderes als um das Urteil: Wie lange es gedauert hatte, bis die Mordserie des rechtsextremistischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ als solche erkannt wurde – und was die Angehörigen der Opfer hatten erdulden müssen. Wie lustvoll deutsche Medien von „Dönermorden“ schwadronierten, ist da ja nicht mal die Spitze irgendeines Eisberges.

Sehr eilig muss es die Polizei gehabt haben: Am Donnerstagvormittag war zu erfahren, die Ordnungshüter hätten sich der „verbotenerweise“ verklebten Plakate angenommen, vier vorläufige Festnahmen wurden auch vermeldet – zur Erinnerung: nicht von mutmaßlichen Mördern, sondern angeblichen wilden Plakatierern. Wo sich das anstößige Druckwerk nicht sauber abknibbeln ließ, soll gar wegen „politisch motivierter Sachbeschädigung“ ermittelt werden. Sagt Ihnen nichts? Der Rechtsabteilung im Polizeihauptquartier wohl auch erst seit dieser Woche.

Nun sind die derart gesäuberten Hauswände kein bisschen sauberer als vorher, und die Polizei darf gern erklären, warum sie die unpolitische „Sachbeschädigung“ durch Konzertveranstalter oder Getränke-Start-ups nicht genau so angeht. Wir erinnern uns derweil an andere Anlässe, zu denen Polizist*innen Plakate partout nicht ertrugen – sei’s zum Fall Oury Jalloh, sei’s zu den eigenen verdeckten Bett-Ermittler*innen – und anrückten, zum Abhängen oder Übermalen.

Sie und ich können unsere Befindlichkeiten nicht so hauruck durchsetzen? Es wird auch längst nicht alles, was justiziabel wäre, mit demselben Elan verfolgt wie gekränktes Beamt*innentum? Sie müssen sich irren – vor dem Gesetz sind wir doch alle gleich. Fragen Sie mal die NSU-Nebenkläger*innen.

Alexander Diehl

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