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Zwischen Realismus und Experiment

■ Abaton: Der zweite Teil der Ken Loach-Reihe beleuchtet 80er- und 90er-Jahre

Die Filme aus Ken Loachs Frühwerk, die vom British Council für das Abaton Kino ausgewählt wurden, machen deutlich, wieviel Enttäuschungen der englische Regisseur verkraften musste, ehe er mit Riff-Raff 1991 den internationalen Durchbruch schaffte. Woche zwei der etwas beliebig zusammengestellten Rückschau beginnt mit dem Spielfilm Looks And Smiles (1981), der die Geschichte zweier junger Arbeitsloser in Sheffield erzählt.

Mit schonungslosen, schwarz-weiß fotografierten Einstellungen berief sich Loach hier noch einmal auf die Methoden, die in den späten fünfziger Jahren das britische „Free Cinema“ begründet hatten: Verwendung von realem Dekor, Arbeit mit unprofessionellen Schauspielern und eine Themenwahl, die sich am wirklichen Leben orientiert. Loach war aber mit dem fertigen Film nicht zufrieden. Im Nachhinein vermisste er die Dynamik – was dazu führte, dass er seine Praxis des nüchternen, realistischen Blicks in Frage stellte.

Ein eindrucksvoller Beleg für die fortan erwachte Experimentierfreude des Regisseurs wurde das 1990 fertiggestellte Werk Hidden Agenda – ein lupenreiner Polit-Thriller über die Rolle Englands im Nordirlandkonflikt: Nach dem Mord an einem amerikanischen Rechtsanwalt kommen dessen Witwe und ein englischer Polizeiinspektor bei ihren Recherchen in Belfast einer groß angelegten Verschwörung auf die Schliche, die bis zur Downing Street No. 10 führt. Wenngleich die Verschwörungstheorie – ganz entgegen der für Loach üblichen Affinität zum wirklichen Leben – in der Realität nicht sehr fundiert war, gelang es ihm doch, für diese spannend erzählte Geschichte die Genreregeln zu variieren, indem er die junge Witwe den Kampf mit dem übermächtigen Gegner konsequent bis zu Ende führen lässt, während der Inspektor bereits klein beigegeben hat.

Wenn Loach hier ein heißes Eisen wie den Nordirlandkonflikt in eine Thrillerhandlung verpackte, zog er damit eine Lehre aus mehreren gescheiterten Versuchen, auf andere Weise medial politischen Einfluss zu üben: Anfang der 80er Jahre hatte Loach eine Reihe von Dokumentarfilmen für das britische Fernsehen realisiert, die die Politik der Thatcher-Regierung scharf attackierten. In Which Side Are You On (1984) übernimmt er offen Partei für die streikenden Bergarbeiter in Nordengland. Neben spektakulären Zusammenstößen mit der Polizei zeigt er das lebendige Gemeinschaftsleben der Streikenden: Es wird gesungen, Gedichte werden vorgetragen und die Frauen der streikenden Kumpels sind als gleichberechtigte Partner in den Arbeitskampf involviert. Auch wenn die Geschichte (nach Abschluss der Dreharbeiten) aus ihnen Verlierer machte, so gelang es Loach immerhin, ihre Würde und Kreativität in Bild und Ton festzuhalten. Der Film wurde nach zähem Ringen mit der Fernsehanstalt einmalig innerhalb eines „ausgewogenen“ Rahmenprogramms gezeigt und so entschärft.

Damit war bewiesen, was sich schon vier Jahre zuvor bei A Question Of Leadership, Loachs Dokumentarfilm über den schwelenden Konflikt zwischen Arbeitern und Gewerkschaftsvertretern,angedeutet hatte: Das Fernsehen war als Abnehmer solch provokanter Filme kaum geeignet. Trotzdem drehte Loach noch 1996 mit The Flickering Flame einen Dokumentarfilm über Liverpooler Werftarbeiter, die gegen ihre Entlassung kämpfen.

Insgesamt wird während der kleinen Rückschau deutlich, wie fließend Loach die Grenzen zwischen Dokumentar- und Spielfilm behandelte: Die Nahaufnahme eines lachenden Gesichts im Arbeiterpub könnte auch gut der Auftakt zu einem fiktionalen Drama à la Loach über genau diese Person sein. Lasse Ole Hempel

Looks and Smiles: Sa, 13.15 Uhr + So, 11 Uhr; Hidden Agenda: Mo, 20 Uhr + Di, 17 Uhr; A Question of Leadership: Mo, 17 Uhr; Which Side Are You On?: So, 13 Uhr; The Flickering Game: Mo, 18 Uhr, alle Abaton

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