Zweiter Anlauf für 700 Millarden-Hilfe: US-Senat billigt Rettungspaket
Der US-Senat genehmigt das abgeänderte 700-Milliarden-Rettungspaket für die Finanzmärkte. Nun muss das rebellische Repräsentantenhaus zustimmen.
Als schließlich alle Senatoren abgestimmt hatten, machte sich Erleichterung breit. Der US-Senat, verkündete der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid müde aber zufrieden am Mittwoch abend, habe das überarbeitete Banken-Rettungspaket angenommen. Und zwar mit einer komfortablen Mehrheit von 74 zu 25. Die wird nötig sein. Denn, so hoffen Reid und andere führende Kongreßvertreter, das klare Ja aus dem Senat soll nun helfen, das rebellische Repräsentantenhaus zur Zustimmung zu bewegen.
Dort hatten am Montag nahezu alle republikanischen Abgeordneten sowie rund 50 demokratische Zweifler das usprüngliche Rettungspaket abgelehnt. Das Nein hatte zu dramatischen Turbulenzen an den Börsen und dem größten Tagesverlust des Dow Jones in seiner Geschichte geführt.
Am Freitag nun, so die Mehrheitsführer beider Kammern, solle das Paket erneut den Abgeordneten vorgelegt werden. Der jetztige, vom Senat abgesegnete Entwurf, sei bewußt mit “Süßstoff” versetzt worden, hatte es zuvor geheißen, damit den vornehmlich republikanischen Kritikern des 700 Milliarden US-Dollar teuren Pakets die Zustimmung erleichtert werde. Das Paket sieht in erster Linie vor, dass der Staat den Banken wertlos gewordene Hypothekenpapiere abkauft, ein staatlicher Eingriff in das freie Spiel der Märkte, das konservative Politiker in Zeiten des bitteren Wahlkampfes nicht gerne ihrer Basis verkaufen müssen wollen.
Der geänderte Gesetzentwurf soll den Schutz für Spareinlagen von US-Bürgern bis zu 250.000 Dollar sichern. Außerdem hatten die Fraktionschefs von Demokraten und Republikanern im Senat, Harry Reid und Mitch McConnell, dafür gesorgt, das die neue Version des Paketes geringere Steuern auf Energie sowie reduzierte Abgaben für Unternehmen vorsieht. Für die Maßnahme hatten sich zuvor US-Präsident George W. Bush und die beiden Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama stark gemacht.
Bush, der sich diesmal persönlich intensiver an den Verhandlungen beteiligte und sein Finanzminister Henry Paulson appellierten an das Repräsentantenhaus, dem Notplan bis zum Wochenende ebenfalls zuzustimmen.
An der Abstimmung in Washington hatten auch die beiden Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain sowie Obamas Vizekandidat Joe Biden teilgenommen. Beide sprachen sich für den Rettungsplan aus, Obama sagte, der Gesetzentwurf sei "das, was wir jetzt tun müssen, um zu verhindern, dass die Krise zu einer Katastrophe wird". McCain mahnte: "Wenn wir nicht handeln, werden die Zahnräder unserer Wirtschaft zum Stillstand kommen."
Kurz vor dem Votum am Mittwoch hatte Reid seinen Senatskollegen eindringlich ins Gewissen geredet. Er warnte, ohne Namen zu nennen, vor einem weitreichenden Wirtschaftskollaps. Ein großes US-Versicherungsunternehmen stehe derzeit am Rande des Bankrotts, auch anderen Großunternehmen drohe die Zahlungsunfähigkeit, sagte der Senator. "Unternehmen hier in Amerika haben jahrzehntelang hervorragend funktioniert, weil sie über Nacht Kredite aufnehmen konnten", sagte Reid. Inzwischen hätten sie Schwierigkeiten, überhaupt noch solche Kredite mit kurzer Laufdauer zu finden.
Unterdessen verlängerte die US-Börsenaufsicht SEC das Verbot von Leerverkäufen, dem sogenannten short selling, für rund 950 Finanzwerte. Die Aufsichtsbehörde will damit dem Parlament Zeit geben, das Rettungspaket zu verabschieden. Das Verbot gehört zu einer Reihe von Maßnahmen mit denen die US-Regierung Anleger und Märkte zu schützen sucht.
Beide Präsidentschaftskandidaten sprachen sich für das geänderte Rettungspaket aus. Beide unterbrachen ihre Wahlkampftouren. In einer kurzen Rede im Kapitol zitierte Obama den früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, den Vater des New Deal gegen die Wirtschaftskrise von 1929. Er rief alle auf, "geeint die Angst zu verbannen", gemeinsam gegen die "amerikanische Krise" vorzugehen, um eine "Katastrophe" zu verhindern.
Laut einer neuen AP-Umfrage vom Mittwoch hat das Finanzdebakel direkte Auswirkungen auf den Wahlkampf der beiden Präsidentschaftskandidaten. Angesichts der Krise bewerteten die Befragten Obama deutlich positiver, während McCains wechselhafte Botschaften eher negativ gewirkt hätten. Knapp einen Monat vor der US-Wahl käme Obama damit auf 48, sein Rivale McCain dagegen nur auf 41 Prozent Zustimmung.
Die Senatoren beglückwünschten sich nach nahezu zwei Wochen andauernder Krise und Verhandlungen selbst schon mal. Sie lobten den "historischen Moment", in dem es beiden Lagern mitten im Wahlkampf gelungen sei, die Parteigrenzen und das Hickhack des Wahlkampfes zu überwinden. Und ja, sagten sie vor den TV-kameras, sie seien optimistisch, dass sich nun auch das Repräsentantenhaus fügen werde.
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