Zweite Staffel der ARD-Serie „Charité“: Operieren unterm Hakenkreuz
Die erfolgreiche Serie wagt einen Zeitsprung: Die Charité in Zeiten der NS-Diktatur ist alles andere als seichte TV-Kost. Gut so, meint unser Autor.
Wer eine simple Fortsetzung der ersten Staffel der ziemlich grandiosen und deshalb so erfolgreichen Charité-Serie erwartet, wird enttäuscht. Vor rund zwei Jahren ging es um den medizinischen Fortschritt gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stand das Schaffen von Koryphäen wie Rudolph Virchow und Robert Koch, verbunden mit einer fiktiven Geschichte um eine Pflegerin, die aus bescheidenen Verhältnissen stammt und dennoch Ärztin werden will. Viel drehte sich also um Etikette, Gehorsam und Duckmäusertum, aber auch die aufkommende Frauenbewegung und die alltäglichen Sorgen und Nöte im Berlin der Kaiserzeit. Ein super Stoff für eine Serie.
Doch die zweite Staffel knüpft daran nicht an. Sie macht einen Zeitsprung und spielt in den beiden letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Wie schon in der ersten Staffel geht es nicht nur um historische Figuren, sondern auch um fiktive Geschichten. Ein cleverer Schachzug, denn so stehen auch Frauen im Zentrum des Geschehens. Sie sind, wie im Grunde genommen das gesamte Personaltableau der Serie, höchst ambivalent angelegt. Und das macht die Serie so spannend.
Allen voran ist da der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, Professor und Klinikchef an der Charité zwischen 1927 und 1949. Der Arzt ist nicht Mitglied der NSDAP, unterstützt Gegner des Regimes und ist gleichzeitig Aushängeschild seiner Zunft: Die „Wochenschau“ feiert Sauerbruch (brillant: Ulrich Noethen) und zeigt, wie er einem Soldaten ein Bein amputiert. Sauerbruch hat aktiv bewegliche Prothesen entwickelt, eine Neuheit. Darauf einen Champagner – trotz mieser Versorgungslage in Berlin. „Lang kann der Spuk ja nicht mehr dauern“, sagt Sauerbruch in einer Szene über die Nazis.
Ein anderer Erzählstrang widmet sich einem jungen Ärztepaar: Anni Waldhausen (Mala Emde) studiert noch bei Professor Sauerbruch, als sie schwanger wird. Ihr Mann Artur (Artjom Gilz) arbeitet bereits als Kinderarzt und führt Medikamententests an kleinen Kindern durch. Seine Probanden sind allesamt behindert; viele sterben an den Versuchen. Das seien doch nur „Reichsausschusskinder“, sagt er.
Menschliche Abgründe
Und Schnitt: Krankenschwestern wird in einer Vorlesung beigebracht, wie sie behinderte Kleinkinder erkennen, die dann in ein Heim zur besonderen Betreuung verlegt werden – schnell ist klar, was dort mit den Kindern passiert. Sie werden ermordet.
Die zweite Staffel ist wegen solcher und ähnlicher zu Herzen gehender, emotional verdichteter Szenen schwer auszuhalten. Und je weiter die Zeit in der Erzählung voranschreitet, desto brutaler werden die Konflikte, die Ängste größer, die Szenen blutiger. Rassenwahn und Unmenschlichkeit, Denunziantentum und Bespitzelung, Leid und Elend, Endsieg, und plötzlich stehen die Russen im Bunker-Operationssaal: Die Serie lässt in menschliche Abgründe blicken, mitunter muss man den Blick vom Bildschirm abwenden. Und doch gibt es Lichtblicke, weil sich Menschen und ihre Einstellungen und Handlungsweisen ja doch verändern können, wenn sie endlich Unrecht erkannt haben.
Und wer sich nach dem Schauen der zweiten Staffel ein ausführlicheres Bild vom „Halbgott in Weiß“ machen will, sei auf das Medizinhistorische Museum der Charité hingewiesen. Eine neue Sonderausstellung beschäftigt sich ab 21. März mit Ferdinand Sauerbruch und seiner ambivalenten Haltung zum Nationalsozialismus.
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