Zweifel an Sprint-Rekorden: Witz-Bolt verarscht alle
Usain Bolt gewinnt in neuer Weltrekordzeit auch die 200 Meter und demontiert die Konkurrenz. Der deutsche Sprinter Tobias Unger hält die Auftritte des Jamaikaners für eine "Riesenverarschung".
PEKING/BERLIN taz/dpa Es war die erwartete Demonstration. Usain Bolt lief im Nationalstadion zu Peking über 200 Meter zu seiner zweiten Goldmedaille und zu seinem zweiten Weltrekord - nur vier Tage nach seinem wundersamen Weltrekord über die halb so lange Strecke. Nur 19,30 Sekunden brauchte der jamaikanische Sprinter und verbesserte damit den 12 Jahre alten Weltrekord des US-Amerikaners Michael Johnson um 2 Hundertstelsekunden.
Damit gelang Bolt als erstem Athleten seit Carl Lewis 1984 in Los Angeles das Kunststück, beide kurze Sprintstrecken bei Olympischen Spielen zu gewinnen. Im Gegensatz zu den 100 Metern lief der 21-jährige Jamaikaner diesmal die ganze Strecke durch, anstatt bereits lange vor dem Ziel mit seinem Jubel zu beginnen. In weitem Abstand folgten auf den Plätzen Churandy Martina von den Niederländischen Antillen (19,82) und Shawn Crawford aus den USA (19,96), die sich mit Silber und Bronze trösten konnten. Der US-Amerikaner Wallace Spearmon, der eigentlich als Dritter ins Ziel gekommen war, wurde disqualifiziert, weil er die Bahn verlassen hatte.
Für Aufregung hatte kurz vor dem 200-Meter-Finale Tobias Unger gesorgt. Deutschlands schnellster Sprinter sprach aus, was alle denken, sich aber bislang niemand so deutlich zu sagen traute: Der 100-Meter-Endlauf, an dessen Ende der von Bolt fast arrogant herausgelaufene Fabelweltrekord von 9,69 Sekunden stand, sei eine "Riesenverarschung" gewesen. "Im Zwischenlauf hat sich Bolt nicht mal warmgelaufen", hatte der 29-jährige Unger festgestellt, der 2004 noch Olympia-Siebter über 200 Meter wurde, in Peking aber im Zwischenlauf ausgeschieden war. "Der kam in Badehose und Joggingschuhen", sagte Unger, "hat eine Steigerung und einen Start gemacht, seine Spikes angezogen und ist dann die 100 Meter in 9,92 Sekunden gejoggt."
Vor allem die Kontinuität von Bolt verwunderte Unger: "Im Mai läuft er 9,80 Sekunden und Ende September auch. Er zeigt keine Schwächen nach langen Reisen, keine Müdigkeit durchs Training." Ursache sei nicht zuletzt auch das löchrige Doping-Kontrollsystem in Jamaika: "Die springen auf ihrer Insel rum, wie sie wollen, denen passiert gar nichts. Ich muss mich allein hier bei Olympia an- und abmelden." Bolt wisse nicht einmal, wie man diese sogenannten "Whereabout"-Bögen ausfülle. "Ich habe langsam keine Lust mehr", sagte Unger frustriert. Er meinte nicht die Pflicht, Formulare zu beschriften.
Unterdessen hat Jacques Rogge Usain Bolt mangelnden Respekt vor seinen Konkurrenten vorgeworfen und zur Mäßigung bei seinen egozentrischen Jubel-Ausbrüchen aufgerufen. "Ich verstehe seine Freude. Er selbst interpretiert das vielleicht anders, aber man empfindet das als eine Art Fangspiel. Das macht man nicht", sagte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am Donnerstag in Peking und forderte den Jamaikaner auf, seinen Kollegen nach dem Rennen auch zu gratulieren. "Das ist nicht die Art, wie wir Champions wahrnehmen", sagte der Belgier.
Bolt hatte nach seinem 200-Meter-Weltrekord am Mittwoch wie schon nach seiner Fabelzeit über 100 Meter seine One-Man-Show vor den 91 000 Zuschauern im Nationalstadion und den vielen Millionen vor den Fernsehern abgezogen. Der 22-Jährige war alleine auf die Ehrenrunde losgezogen, hatte immer wieder auf sich gezeigt und in die Kameras gebrüllt: "Ich bin die Nummer eins! Ich bin die Nummer eins!". Zudem legte er eine Art Watschelgang hin, was durchaus als Verhöhnung der anderen Sprinter interpretiert werden konnte.
"Ich denke, er sollte den anderen Teilnehmern gegenüber mehr Respekt zollen und ihnen direkt nach dem Rennen auch die Hand oder einen Klaps auf die Schulter geben", sagte Rogge. "Aber er wird das noch lernen, früher oder später. Er ist ein junger Bursche." Dennoch zollte der IOC-Präsident ihm höchste Anerkennung für seinen Doppel- Sieg und seine beiden Weltrekorde: "Bolt ist in einer anderen Sprint- Dimension."
Das Heimatland von Bolt, der karibische Inselstaat Jamaika, freut sich ungebrochen über den zweiten Olympia-Coup von Usain Bolt. Ja, es sonnt sich nun im Ruhm, die schnellsten Männer und Frauen auf der Welt zu haben. Während es in Peking Medaillen für die Sprint-Asse regnete, tobte auf der Karibikinsel der Tropensturm "Fay". Der ausgelassenen Freude der 2,8 Millionen Einwohner tat dies keinen Abbruch. Premierminister Bruce Golding betätigt sich seit Tagen als Gratulant, jetzt ordnete er an, dass Bolts Heimatgemeinde Trelawny über zwölf Millionen US-Dollar für die Sanierung von Straßen zukommen sollen. Als Dank dafür, einen so außergewöhnlichen Sportler hervorgebracht zu haben.
Der Erfolg kann die Regierung, die schon nach dem ersten Triumph Bolts ordentlich gefeiert hat, teuer zu stehen kommen: Denn für die Siegerin im Frauen-Sprint sollen in Waterhouse ebenfalls die Straßen in Ordnung gebracht werden. "Usain Bolt und Shelly-Ann Fraser haben der Welt bewiesen, dass Disziplin, harte Arbeit und Vertrauen die Beigaben sind, die den Erfolg für jedes Unterfangen garantieren", sagte der Regierungschef.
In den olympischen Leichtathletik-Wettkämpfen führte Jamaika nach sechs Wettkampftagen den Medaillenspiegel mit siebenmal Edelmetall an. Nach Bolts Weltrekord-Rennen über 100 und 200 Meter sowie dem Dreifach-Erfolg bei den Frauen über die kurze Sprintstrecke gelten die Athleten in Gelb-Grün auch als Favoriten bei den prestigeträchtigen 4 x 100 Meter-Staffeln.
Als Bolt über 100 Meter locker und lässig zum Weltrekord gerannt war, stürmten die Jamaikaner überall aus ihren Häusern, zündeten Feuerwerke, tanzten und schrien vor Freude. Ausgelassen gefeiert wurde auch, als Fraser, Sherone Simpson und Kerron Stewart die Medaillen unter sich ausmachten.
Aus Lautsprechern dröhnten die neuesten jamaikanischen Hits: Die bekanntesten davon - Mavados "Money Changer" und Wayne Marshalls olympische Ode "The Moment" - wurden ohne Pause an allen Ecken abgespielt. Sogar Straßenverkäufer und Busfahrer tanzten auf den Straßen. Begeistert riefen sie: "Jamaika, Nummer eins!" Ein Mann sagte: "Ich wusste, er würde gewinnen. Entschuldigung, dass wir nie nur Silber bekommen. Aber so ist das nun mal."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!