Zweifel am Suizid in der JVA Kleve: Tödlicher Knast
SPD und Grüne in NRW haben im Fall Amed A. einen Untersuchungsausschuss beschlossen. Die Umstände des Falls seien „realitätsfern“.
„Im Fall von Amed A. stellen sich immer noch sehr grundlegende Fragen, die nicht einmal im Ansatz beantwortet sind“, sagte SPD-Fraktionsvize Sven Wolf am Dienstag in Düsseldorf. Die Anzahl der Grünen-Abgeordneten reicht nicht für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses aus, die der SPD-Abgeordneten schon.
Auch knapp zwei Monate nach dem Tod des 26-Jährigen bleibe rätselhaft, warum Polizeibeamte den hellhäutigen Mann aus Syrien mit einem Schwarzafrikaner aus Mali verwechseln konnten, erklärte Wolf: „Es stimmten weder die Fingerabdrücke, die Schreibweise des Namens, das Geburtsdatum noch die Muttersprache noch die Hautfarbe überein.“ Unverständlich sei auch, warum „das niemand im Justizvollzug über Monate gemerkt“ habe.
Amed A. war Anfang Juli ins Visier der Polizei geraten. An einem Baggersee soll er vier Frauen sexuell belästigt, ihnen auf die Brüste gestarrt haben. Ein Grund für eine mehrmonatige Inhaftierung wäre das aber nicht gewesen – ins Gefängnis wanderte der Flüchtling aus Aleppo offenbar allein deshalb, weil ein von der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Diebstahls gesuchter Mann aus Mali einen ähnlich klingenden Tarnnamen benutzt hatte, der in Polizeicomputern gespeichert war. Innenminister Reul hat deshalb „schwere Fehler“ seiner Polizei eingeräumt.
Amed A. fragte angeblich nie nach einem Anwalt
Am 17. September wurde Amad A. dann bei einem Brand in seiner Zelle so schwer verletzt, dass er trotz einer Lungentransplantation am 29. September starb. Justizminister Biesenbach hatte in der vergangenen Woche ein Gutachten präsentiert, nachdem Amed A. das Feuer in seiner Zelle „vermutlich mit suizidaler Absicht“ selbst gelegt haben soll. Mordversuchs-Vorwürfe gegen Justizbeamte seien abwegig, sagte Biesenbach.
Unklar bleibt damit allerdings, wieso eine Gefängnispsychologin Amed A. am 3. September als nicht suizidgefährdet einstufte. Bei Haftantritt waren ihm in einer ärztlichen Diagnose dagegen massive Persönlichkeitsstörungen bescheinigt worden – in Syrien soll Amed A. gezwungen gewesen sein, der Massenvergewaltigung seiner inzwischen verstorbenen Verlobten zuzuschauen.
„Lebensfremd“ sei auch, dass der Bürgerkriegsflüchtling nur ein einziges Mal auf die fatale Verwechslung hingewiesen haben soll, die ihn in Haft brachte, sagt auch der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Stefan Engstfeld: „Realitätsfern ist auch, dass er nie nach einem Anwalt verlangt haben soll, weder bei der Verhaftung noch während seiner Haftzeit“, sagt der Grüne zur Begründung des Untersuchungsausschusses.
Minister Biesenbach, der bereits einräumen musste, dass in NRW 2018 neben Amed A. mindestens zwei weitere Männer widerrechtlich in Haft saßen, will dagegen mit einer Expertenkommission für besseren Brandschutz und Suizidprävention sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag