Zwangsehen in Deutschland: Ministerium verschleppt Evaluation
Das Bundesinnenministeriums hat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen nicht abschließend evaluiert – obwohl es dazu verpflichtet ist.

Nun ist die Bundesregierung verpflichtet, dieses Gesetz nach drei Jahren zu evaluieren. Doch auch mit mehr als einem Jahr Verspätung steht die Evaluation des Bundesinnenministeriums (BMI) noch aus, wie aus einer Antwort des BMI auf eine Anfrage der stellvertretenden FDP-Bundeschefin Katja Suding hervorgeht. Auch ein Datum zur Veröffentlichung der Evaluation könne nicht genannt werden, so das BMI.
Die Antworten von Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium liegen seit August 2020 vor. Darin schreibt das Bundesjustizministerium (BMJV): Knapp 60-mal seien Anträge auf Eheschließungen von Standesämtern seit Inkrafttreten des Gesetzes bis ins erste Quartal 2020 abgelehnt worden. Zudem habe es rund 100 Verfahren auf Aufhebung einer Ehe wegen Minderjährigkeit gegeben.
Die Dunkelziffer, wie viele Fälle solcher Ehen es gibt, liegt laut der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes allerdings weit höher. Das liegt unter anderem daran, dass es keine Regelung gibt, welche Behörde in welchen Städten oder Kreisen konkret für die Erfassung der Daten zuständig ist. Viele Bundesländer führen zudem keine Statistiken.
In 11 Fällen Aufhebung der Ehe
In nur elf Fällen wurde eine Ehe mit oder zwischen Minderjährigen laut BMJV in Deutschland tatsächlich aufgehoben. In den übrigen Fällen waren die Eheleute beispielsweise ins Heimatland zurückgekehrt – oder es gab einen „Härtefall“, der die Anwendung des Gesetzes verhindert. Dazu zählen zum Beispiel gemeinsame Kinder der EhepartnerInnen.
Die letzte Studie zu Zwangsverheiratungen in Deutschland ist zehn Jahre alt. Darin hielten sich die Wissenschaftler:innen allerdings zurück, was konkrete Zahlen anging. Systematisch zusammengetragen und analysiert wurde vor allem das Wissen von Beratungseinrichtungen hierzulande über Menschen, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind.
Betroffen von Zwangsverheiratung seien gar nicht primär Minderjährige, sondern vor allem Menschen zwischen 18 und 21 Jahren, schrieben die Forscher:innen damals. Überwiegend hätten die Betroffenen Migrationshintergrund, in vielen Fällen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Praxis lasse sich nicht auf bestimmte religiöse Traditionen zurückführen, so die Studie, sondern komme in unterschiedlichen sozialen, ethnischen und kulturellen Kontexten vor, auch in Europa. Klar sei dabei, dass es sich um eklatante Menschenrechtsverletzungen handle.
Katja Suding fordert nun von der Bundesregierung „dringend“ eine Folgestudie. Betroffene litten unter Zwangsverheiratung ein Leben lang, heißt es in dem Antrag. „Das Leid der Mädchen in Deutschland durch Kinderehen“, so Suding, „muss endlich ernst genommen und beendet werden.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Jugend im Wahlkampf
Schluss mit dem Generationengelaber!
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens