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Zustand der AmpelFrusttruppe mit Therapiebedarf

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Ampel streitet und streitet. Die Menschen erwarten zu Recht, dass nun endlich nach Lösungen und neuen Einnahmequellen gesucht wird.

Als die Stimmung noch besser war: Kabinettmeeting der Ampel im Schloss Meseberg im Mai 2022 Foto: Kay Nietfeld/reuters

G ut, dass sich die Ampelregierung mal wieder zum Teambuilding in Meseberg trifft. Das tut dem innerkoalitionären Klima hoffentlich gut. Denn zurzeit gibt die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ein miserables Bild ab. Egal welches Thema, ob Kindergrundsicherung, Verbrennerautos oder Gasheizungen – man streitet. Eine Familientherapeutin würde nun eine Auszeit oder die Scheidung empfehlen. Für die Ampel, die gerade mehrere Großkrisen managen muss, ist Trennung aber keine Lösung.

Streit ist prinzipiell gut. Die politische Willensbildung fußt auf dem Austausch verschiedener Perspektiven und der Suche nach dem besseren Argument. Das ist produktiv. Kontraproduktiv wird es, wenn Streit nur dazu dient, eigene Machtansprüche und Interessen durchzusetzen. So wie derzeit in der Ampel. Die FDP, die in Wahlen verliert, versucht, ihr Profil zu schärfen, vor allem gegen die Grünen. Die punkten mit auf die eigene kosmopolitische, klimabewegte Wäh­le­r:in­nen­schaft zugeschnittenen Botschaften. Aber sie erreichen kaum Menschen über dieses Milieu hinaus, wie die Berlinwahl zeigte. Die SPD kann sich in dieser Dreierbeziehung nicht entscheiden, ob sie nun Schiedsrichterin oder Kapitänin sein will.

Im Hintergrund laufen derweil Haushaltsverhandlungen. Der Staat wird im nächsten Jahr wohl 50 Milliarden Euro weniger ausgeben können, auch weil der Weg zu frischen Krediten durch die Schuldenbremse nun bis auf einen kleinen Spalt versperrt ist. Hinzu kommt, dass Projekte aus dem Koalitionsvertrag, wie die Kindergrundsicherung, noch gar nicht eingepreist sind. Derzeit tanzen alle Mi­nis­te­r:in­nen zu Einzelgesprächen bei Christian Lindner an. Dessen Job als Finanzminister ist es, die Wunschlisten zurechtzustutzen. Als FDP-Vorsitzender tut er das auch nach parteipolitischen Präferenzen. Eine Milliarde für die FDP-Bildungsministerin muss drin sein, die Kindergrundsicherung, für die die grüne Familienministerin 12 Milliarden angemeldet hat, liegt auf Eis.

Jetzt rächt sich, dass die Ampelparteien im Koalitionsvertrag darauf verzichtet haben, Prioritäten und Preisschilder zu vergeben. Das hätte ja den Frieden der Koalitionsverhandlungen gestört. Jetzt muss sie dies nachholen, was denn auch zum erwarteten Unfrieden führt.

Eine Therapeutin würde wohl die Trennung empfehlen. Keine Lösung für die Ampel, die gerade mehrere Großkrisen managen muss

Die Menschen dürfen erwarten, dass die Ampel nach pragmatischen und nicht nach parteitaktischen Erwägungen aushandelt, was ein Muss ist und was nice to have. Und dann sortiert sich doch einiges recht schnell. Dass der Kampf gegen Kinderarmut ein Muss ist, darüber sind sich alle einig, auch die FDP. Auch Klimaschutz ist kein nettes Beiwerk, sondern überlebensnotwendig für die Menschheit.

Bis 2045 will Deutschland von 760 Millionen Tonnen CO2 auf null Emissionen kommen. Ein Wahnsinnsumbruch ins postfossile Zeitalter, der alles, von der Industrie bis zum eigenen Lebensstil, umkrempeln wird. Die Kosten belaufen sich der staatlichen Förderbank KfW zufolge auf etwa fünf Billionen Euro. Der Großteil werden private Investitionen sein, doch auch der Staat muss mehr in den Klimaschutz investieren, so die KfW.

Damit die Bür­ge­r:in­nen mitziehen, gilt es vor allem jene noch stärker zu unterstützen, die finanziell überfordert sind. Nicht jeder kann es sich zum Beispiel leisten, die kaputte Gasheizung durch eine 25.000 Euro teure Erdwärmeheizung zu ersetzen oder die höhere Miete zu zahlen.

Schlupflöcher schließen, Subventionen abschaffen

Investitionen werden in der Regel über Kredite finanziert. Die Ampel sollte also auch pragmatisch darüber nachdenken, ob die Einhaltung der Schuldenbremse um jeden Preis sinnvoll ist. Gleichzeitig müssen aber auch die Steuereinnahmen steigen. Das geht sogar, ohne ­Steuern für Reiche zu erhöhen. Den Liberalen ist das zu hart, na gut. Aber man kann ja Schlupflöcher schließen und Subventionen abbauen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes entgehen dem Staat jährlich 65 Milliarden Euro, weil er umweltschädliche Dinge rabattiert. So kostet die pauschale Besteuerung privat genutzter Dienstwagen jährlich mindestens 3 Milliarden Euro. Über 8 Milliarden Euro lässt sich der Staat entgehen, weil er Dieselkraftstoff ermäßigt besteuert.

Riesige Löcher weist auch das Erbschaftsteuerrecht auf. 400 Milliarden Euro werden pro Jahr vererbt oder verschenkt – fast so viel wie der Staatshaushalt, mit dem Lindner im nächsten Jahr plant. Großzügige Ausnahmen führen dazu, dass über 80 Prozent der Firmenerben keine Erbschaftsteuer zahlen und so rund 5 Milliarden Euro jährlich am Fiskus vorbei transferieren.

Über den Haushalt wird die Ampel auch im schönen Meseberg sprechen. Vielleicht besinnt sie sich dann wieder darauf, was sie eigentlich sein wollte: Eine Fortschrittskoalition, keine Frusttruppe.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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5 Kommentare

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  • Jeder kann ein Schiff steuern ... bei ruhiger See !

    Aber wenn man erst alle politischen Überzeugungen über Bord geworfen hat,



    alle einstigen Ziele auf dem Altar des Machtkalküls geopfert, und zu letzt auch noch die halbe Mannschaft vergrätzt hat, muss man sich nicht wundern dass niemand mehr den Kurs hält oder überhaupt weiß wo es hingehen soll.

    • @Bolzkopf:

      Das kann man kaum besser beschreiben. Danke.



      Ich weiß nur nicht ob ich über diese Situation wütend oder angstvoll sein soll. Optimistisch ganz sicher nicht!

    • @Bolzkopf:

      "A ship in harbor is safe, but that is not what ships are built for."

  • Keine Frusttruppe? Schön wär's. Unverständlich ist und bleibt, dass der Kanzler nicht stärker eingreift. Warum führt er denn nicht? Er selber hat doch immer wieder damit geprahlt, dass bestellte Führung auch geliefert wird... Dieses irre Ablehnen jedweden Fortschritts duch die Interessenvertretung FDP (Partei kann man die nicht mehr nennen) wird zusehends unerträglich. Die Grünen wollen offenbar nich kjräftiger zurückkeilen und die SPD hält sich zurück - vornehm? Unsicher? Oder gar substanzlos...? Angesichts der Situation in der sich die gesamte Gesellschaft, ja die gesamte Menschheit befindet ist das alles nur noch zum Fürchten.

    • @Perkele:

      Substanzlos ist eines der ersten Adjektive, das mir bei der SPD einfällt.

      Und auch beim derzeitigen Kanzler.

      Farblos, substanzlos.

      Aber auch verschlossen.

      Wie beim Merkel weis bei Scholz keiner was in dessen grauen Stübchen vorgeht.

      Eine Politikerin wie Nahles wäre bei der 3er Koalition mit FDP und Grünen aus meiner Sicht eine deutlich bessere Kandidatin gewesen.

      Eine Starke, extrovertierte Persönlichkeit, die sagt wo es lang geht und keine graue Eminenz.

      Scholz wäre hingegen der optiomale Kandidat für eine Koalition mit der CDU.

      Die große Koalition würde sicher ähnlich gut funktionieren wie unter Merkel.