Zustände in der JVA Fuhlsbüttel: Nur trocken Brot in Santa Fu
Im Hamburger Männerknast ist Corona ausgebrochen – nun kämpfen die Insassen gegen die Haftbedingungen. Die Justizbehörde weist alle Vorwürfe zurück.
„Die Infrastruktur bricht zusammen, nichts klappt mehr“, sagt Marion Kunze (Namen von der Redaktion geändert), deren Sohn gerade wegen Drogendelikten einsitzt. „Hamburg ist unmenschlich“, so ihr Urteil. Für die Gefangenen bedeute die coronabedingte Quarantäne nicht nur, dass sie zehn Tage lang „weggeschlossen“ würden, und die Betriebe der JVA nicht arbeiteten: „Es gibt keinen Ausgang und keine Versorgung. Die Insassen bekamen zwei Tage lang nur ein Mittagessen und das war auch nur lauwarm. Frühstück und Abendbrot fielen aus. Am Freitag kam das Essen dann eineinhalb Stunden später, dazu gab es vier Scheiben Brot und Käse, keine Margarine.“
Und es fehlte offenbar nicht nur am Essen: „Es gab keine Medikamente, kein heißes Wasser für Tee, kein Toilettenpapier“, sagt Kunze. „Und kein Wärter will zu den Insassen, auf Klingeln wird nicht reagiert.“ Die Folge: „Die Insassen springen gegen die Zellentür, sie haben Hunger, wollen raus.“ Es habe „Tumulte“ gegeben, so Kunze.
Die Hamburger Justizbehörde unter der grünen Senatorin Anna Gallina weist jedoch all diese Anschuldigungen kategorisch zurück: „Wir sind diesen Vorwürfen nachgegangen“, so Behördensprecher André Otto: „Keiner dieser Vorwürfe trifft zu.“ Wie es zu dem Corona-Ausbruch kommen konnte, kann er nicht beantworten: „Das lässt sich – wie oft bei einem solchen Ausbruchsgeschehen – nicht genau sagen.“
Andere Quellen bekräftigen jedoch Kunzes Darstellungen: Otto F. etwa bestätigt ihre Vorwürfe im Gespräch mit der taz. Der Mittfünfziger saß selbst 36 Jahre lang im Hamburger Knast ein, das erste Mal mit 15, damals noch im Jugendarrest. Inzwischen ist er wieder frei, arbeitet auf einer Baustelle, hat aber nach eigenen Worten immer noch „gute Kontakte“ nach drinnen: F. war zuletzt auch Mitglied der Gefangenenvertretung von Santa Fu, im vergangenen Jahr sagte ein Wärter vor Gericht aus, F. sei ein Gefangener, der sich gut benehme und keine Probleme mache.
In der Justizvollzugsanstalt Oldenburg wurden Ende März mehr als 100 der rund 300 Gefangenen sowie 18 Beschäftigte positiv auf das Coronavirus getestet. „Die Gefangenen haben ganz überwiegend einen leichtgradigen Krankheitsverlauf“, hieß es aus dem niedersächsischen Justizministerium.
In mindestens einem Fall war ein negativ getesteter Strafgefangener mit einem positiv getesteten Insassen in einer Doppelzelle eingesperrt, berichtet sein Anwalt Sven Sommerfeldt der taz. Die JVA habe ihm die Verlegung in eine andere Zelle „verweigert“ und „zwinge“ den Gefangenen, weiterhin die Zelle mit dem an Corona erkrankten Mitgefangenen zu teilen.
Der Anwalt stellte daraufhin einen Eilantrag beim Landgericht Oldenburg. Nach dessen Beschwerde wurde der Gefangene in eine Einzelzelle verlegt.
Die Staatsanwaltschaft soll nun ermitteln, fordert der Anwalt – die JVA habe den Gefangenen einem „hohen Infektionsrisiko“ ausgesetzt und damit möglicherweise Körperverletzung begangen.
Die momentanen Zustände in Santa Fu beschreibt Otto F. als „chaotisch“. Und er ergänzt: Gefangene hätten keine Fenster öffnen und nicht duschen gehen können. Zudem gebe es zu wenig Bedienstete im Hamburger Knast – einige von ihnen haben selbst Corona.
„Ganz so drastisch wurde uns das nicht bestätigt.“, sagt indes Tim Burkert, Vorsitzender der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidiger:innen der taz: „Es gibt allerdings einzelne Hinweise auf Probleme in der Quarantäne, die für die Gefangenen sehr belastend sein dürften“, so Burkert: Keine Möglichkeit zu duschen, ausgefallenes Essen, fehlende Frischluft und mangelnde Information wurde dem Anwalt von seinen inhaftierten Mandanten berichtet. Und dass es teilweise nur trockene Scheiben Brot zu essen gab.
Einer Anwältin, die ebenfalls zwei Mandanten vertritt, die in Santa Fu einsitzen, wurde berichtet, dass es „nicht ausreichend“ zu essen gab, die Fenster tagelang verschlossen blieben und auch die Freistunde ganz ausfiel. Wann diese wieder möglich sein werden, wurde ihnen nicht gesagt, so die Anwältin.
Bis Mittwoch rücken die Gefangenen nicht zur Arbeit aus, sagt der Behördensprecher, die Freistunden würden aber sehr wohl gewährt – „flügelweise“. Freizeitmaßnahmen, die drinnen stattfinden, seien „bis auf weiteres ausgesetzt“. Aber an Frischluft fehle es nicht: „Während der Quarantäne können in den Hafträumen beide, anstatt nur ein Fensterflügel geöffnet werden“, so Otto.
Unabhängige Quellen, die über die Zustände im Knast berichten können, gibt es kaum: Der katholische Anstaltspastor verweist auf Nachfrage auf die Gefängnisleitung und die Justizbehörde, auch die Hamburger Straffälligenhilfe „kann überhaupt nichts dazu sagen, wie die realen Umstände aktuell vor Ort sind“.
Allerdings, und das bestätigen auch von der taz befragte Anwälte:innen, wurden die Zustände in der Hamburger Haftanstalt in der Vergangenheit schon öfter kritisiert. Erst im Juli vergangenen Jahres schrieben Gefangene Briefe an Behörden und die Hamburgische Bürgerschaft. Darin beklagen die Häftlinge „katastrophale Zustände“.
Der Hauptvorwurf: Es gebe zu wenig psychologische Betreuung, kaum Maßnahmen zur Resozialisierung und es fände fast keine Entlassungsvorbereitung mehr statt. Der NDR veröffentlichte im Herbst einen Beitrag, in dem ein anonymer JVA-Beamter über rassistische Misshandlungen und Verhaltensweisen anderer JVA-Bediensteter berichtet. Die Justizbehörde bestreitet die Vorwürfe.
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