Dokumentation auf Arte: Was Gefängnisse wirklich bringen

Der Dokumentarfilmer Johan von Mirbach hat sich in deutschen und französischen Gefängnissen umgesehen: „Weggesperrt – Bürger hinter Gittern“.

Ein Mann schaut in einem Gefängnis durch das Sichtfenster einer Zellentür.

Wie viel Resozialisierung ist im Knast möglich? Foto: DOCDAYS Productions/Till Vielrose/Arte

Was man erwartet, wenn der rührige deutsch-französische Kulturkanal Arte einen 90-minütigen Dokumentarfilm zum Thema Gefängnisse zeigt? Die Einbettung in einen sendertypischen Themenabend. Entweder davor oder danach einen der großen Spielfilmklassiker zum Thema, Don Siegels „Flucht von Alcatraz“ vielleicht oder „Papillon“ mit Steve McQueen. Oder das jüngste Meisterwerk des Knastfilmgenres, Jacques Audiards „Ein Prophet“. Und der Dokumentarfilm selbst wird natürlich Alexander Solschenizyns „Der Archipel Gulag“ diskutieren, vor allem aber Foucaults „Überwachen und Strafen“. Begriffe wie Spezialprävention und Generalprävention werden fallen …

Der Film „Weggesperrt – Bürger hinter Gittern“, der seit gestern in der Arte-Mediathek aufzurufen ist, erfüllte keine dieser Erwartungen. Vor- und nachher liefen – bestimmt sehr sehenswerte – dokumentarische Formate über Asbest und junge Russen auf der Flucht. Die beiden genannten Grundlagenwerke werden nicht einmal erwähnt. Für die geschichtliche Einordnung müssen ein paar kurze Sequenzen mit der Historikerin Annelie Ramsbrock genügen. Den Stand der Wissenschaft seit den 1960er Jahren fasst sie hemdsärmelig-pointiert zusammen: „Man hat einfach gesehen, dass Gefängnisse überhaupt nichts bringen. Das Problem ist, es gab keine bessere Idee. Und die gibt es bis heute nicht.“

Der Regisseur Johan von Mirbach hat mit seinen Filmen über die Machenschaften der Ölindustrie, der deutschen Autoindustrie oder der „Umwelt-Mafia“ den Finger schon in verschiedene Wunden gelegt. Seine Gesprächspartner kommen fast alle aus der Praxis. Er hat drei amtierende Anstaltsleiter befragt, die zwar nicht resigniert, aber doch recht abgeklärt Auskunft darüber geben, was Gefängnisse leisten können – und was nicht. Einer der resigniert hat, ist der ehemalige JVA-Leiter Thomas Galli, der seinen Job irgendwann aufgesteckt hat, „weil bei mir die Überzeugung im Laufe der Jahre immer stärker geworden ist, dass das unter dem Strich nicht sinnvoll ist, was wir da tun, und in vielen Fällen schädlich sogar“.

Nutz- und Würdelosigkeit der Gefängnisse

Von Mirbach lässt Galli auf Maximilian Pollux treffen, der knapp zehn Jahre lang bei ihm einsaß und jetzt Jugendcoach ist. Sie streifen zusammen durch die inzwischen stillgelegte, verlassene Vollzugsanstalt Augsburg. Das war zwar gar nicht „ihr“ Knast, war aber als Metapher für die Filmaussage wohl einfach zu gut. Die Filmaussage zielt auf die Nutz- und Würdelosigkeit der Gefängnisse.

„Weggesperrt – Bürger hinter Gittern“, bis 18.12. in der Arte-Mediathek

Von Mirbach hat drei deutsche Haftanstalten besucht und, weil es ein Arte-Film ist, eine französische: die berühmt-berüchtigte Pariser „La Santé“. Die ist zu 148 Prozent überbelegt. Drei Gefangene teilen sich dort die für zwei konzipierten Zellen – zwei schlafen in einem Stockbett, der dritte auf einer auf dem Boden liegenden Matratze daneben. Eine Texttafel informiert: „Aufgrund der Überbelegung der Gefängnisse wurde Frankreich vom Europäischen Gerichtshof mehrfach zu Entschädigungszahlungen verurteilt.“

Andere dieser Texttafeln vergleichen die Situation in Deutschland und Frankreich, und es fällt auf, dass alle genannten Statistiken – Zahl der Insassen insgesamt (59.000 in Deutschland respektive 69.000 in Frankreich), der Freigänger (6.400 respektive 1.700), Belegungsquote (82 Prozent respektive 114 Prozent) – Deutschland besser aussehen lassen als Frankreich.

Der Weg zurück in die Gesellschaft

Die wichtigste Person im Film ist der 50-jährige Thorsten, der bereits mehr als 15 Jahre Gefängnis hinter sich hat: „Das größte Problem war bei mir wirklich die Gewalt. Also, ich hab 10, 11 Anzeigen wegen schwerer Körperverletzung.“ Die traut man ihm nicht zu, so leutselig wie er mit anderen, auch sehr sympathisch wirkenden Insassen umgeht.

Der Film begleitet Thorsten aus der JVA Bielefeld-Brackwede bis in den offenen Vollzug der JVA Bielefeld-Senne, wo er mit einem Job in einer Gartenbaufirma auf die Freiheit vorbereitet wird und Jugendlichen seine Geschichte erzählt, damit sie nicht die gleichen Fehler machen wie er.

Von Mirbach räumt ausgerechnet dem Menschen die meiste Bildschirmzeit ein, dessen Beispiel sich diametral zur kritischen Stoßrichtung seines Films verhält. Thorsten scheint vielmehr das Paradebeispiel einer unter den Bedingungen der deutschen Gefängnispraxis am Ende doch noch gelungenen Resozialisierung zu sein.

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