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Zusammenstöße in ÄgyptenDer Fluch der Mumie

Nach dem Todesurteil gegen Fußballfans in Port Said fordern Auseinandersetzungen Tote und Verletzte. Präsident Mursi schweigt dazu.

Kairo, nahe Tahrirplatz, im Januar 2013. Bild: dpa

KAIRO taz | Tagelang toben nun schon die Straßenschlachten in ganz Ägypten infolge des zweiten Jahrestages der Revolution. Auch am Sonntag verwandelten sich die Straßen rund um den Tahrirplatz in Kairo in ein Schlachtfeld zwischen Polizei und Demonstranten.

Das Ganze ist zudem noch überschattet von den Unruhen in der Hafenstadt Port Said auf die Todesurteile gegen 21 lokale Fußballfans. Sie wurden für die Krawalle vor einem Jahr verantwortlich gemacht, bei denen 74 Menschen im Stadium von Port Said starben. Die Toten waren überwiegend Fans der Kairoer Mannschaft al-Ahli.

Es gibt viele Fronten in Ägypten, die das Land polarisieren. Die Ahli-Fans feiern frenetisch die „gerechten“ Todesurteile, während in Port Said nach dem Urteilsspruch Verzweiflung ausbricht und Angehörige der Verurteilten zum Teil mit Schnellfeuergewehren das Gefängnis stürmen, in dem viele der Verurteilten einsitzen. Bei dem Feuergefecht und den anschließenden Straßenschlachten kamen mindestens 36 Menschen ums Leben.

Am Sonntag, anlässlich der Beerdigungen, gingen die Auseinandersetzungen weiter. Gleichzeitig gab es an der politischen Front zwischen Muslimbrüdern und ihren Gegnern beim Sturm von Regierungsgebäuden und Büros der Islamisten in den letzten Tagen mindestens 11 weitere Tote.

Kryptischer Aufruf zum Dialog

Und was macht der Präsident? Er schweigt und setzt sich mit seinem nationalen Verteidigungsrat zusammen. Der rief anschließend in einer kryptischen Erklärung alle politischen Strömungen zu einem Dialog ohne jegliche Tagesordnung und Ziel auf und kündigte gleichzeitig die Möglichkeit an, in besonders umkämpften Orten den Notstand auszurufen.

Und was macht die Opposition? Die Nationale Rettungsfront, angeführt von Mohamad ElBaradei, dem ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, gab am Wochenende eine Pressekonferenz, in der sie mehrere Forderungen stellte. Eine Regierung der Nationalen Rettung solle gegründet und die Verfassung umgeschrieben werden, andernfalls gingen die Proteste weiter. Außerdem will die Opposition die kommenden Parlamentswahlen boykottieren, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Nach dem Motto: Lieber Mursi, gib uns, was wir wollen, sonst treten wir bei den Parlamentswahlen nicht gegen deine Muslimbrüder an.

Alles wird besser

Weder Mursi noch die Opposition haben derzeit irgendeine Idee, wie es mit Ägypten und den immer drängenderen Problemen weitergehen soll. Das Credo Mursis und der Muslimbrüder lautet schon seit Monaten: Alles wird besser, wenn ihr uns nur mehr Zeit gebt. Konkrete Vorschläge, wie es besser werden soll, gibt es nicht.

Das Erbe Mubaraks, einen ineffektiven und korrupten Staatsapparat, hat Mursi bisher nicht angetastet. Und das Innenministerium, das immer noch mit alten Polizeipraktiken aus der Diktatur arbeitet, bleibt ein Staat im Staate. Die neun toten Demonstranten am Wochenende in Suez wurden laut Gerichtsmedizinern aus kurzer Distanz erschossen, manche sogar rücklings. Der Sicherheitsapparat musste sich dafür bisher nicht rechtfertigen.

Das Credo der Opposition ist ebenso simpel: Alles, nur nicht die Muslimbrüder. Bei den Straßenschlachten hallt immer wieder der Ruf: „Stürzt das Regime, stürzt Mursi!“ Abgesehen davon, dass es an demokratischer Glaubwürdigkeit mangelt, wenn man einen gewählten Präsidenten stürzen will, stellt sich die Frage: und was dann? Derzeit scheint niemand in der Opposition in der Lage zu sein, dies zu beantworten. Keiner kann in Ägypten mit einer Vision aufwarten, die die wirklichen Probleme der Menschen anspricht: die darniederliegende Wirtschaft, die Preiserhöhungen oder die dringend benötigten Arbeitsplätze, abgesehen von der Reform des Staatsapparats.

Wie es der Tahrir-Aktivist Wael Khalil zusammenfasst: „Das ist wohl der Fluch der ägyptischen Mumie. Weder die Muslimbrüder noch die Opposition haben ihre politischen Hausaufgaben gemacht“.

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