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Zunahme bei ArbeitskämpfenSozialpartnerschaft bröckelt

Die Zahl der Streiks hat 2012 wieder deutlich zugenommen. Vor allem in der Dienstleistungsbranche gab es mehr Konflikte.

Es wird gestreikt. Derzeit zum Beispiel an verschiedenen Flughäfen der Republik. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Zahl der Arbeitskämpfe hat in Deutschland wieder deutlich zugenommen. Das zeigt die jährliche Bilanz, die die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am Mittwoch vorlegte. So fielen 2012 nach Schätzungen 630.000 Arbeitstage wegen Tarifauseinandersetzungen aus. Das waren mehr als doppelt so viele wie 2011.

Die Zahl der an Streiks oder Warnstreiks Beteiligten, so schreibt die Stiftung, habe sich im gleichen Zeitraum dabei mehr als versechsfacht und lag bei 1,2 Millionen Personen. Mehr Menschen waren zuletzt vor der Finanzkrise 2008 im Ausstand. Damals streikten geschätzte 1,5 Millionen Beschäftigte.

Schaut man jedoch genauer hin, sieht man gleichwohl, dass Deutschland nach wie vor ein konfliktscheues Land ist. So fielen in den vergangenen Jahren im Schnitt pro 1.000 Beschäftigten 15 Arbeitstage wegen Streiks aus. In Frankreich oder Kanada waren es 162 und 145 Tage.

Die größte Masse an Streiktagen kommt nach wie vor bei Tarifkonflikten in den beschäftigungsstarken Branchen des öffentlichen Dienstes und der Metall- und Elektroindustrie zusammen. Doch Heiner Dribbusch, Arbeitskampfexperte bei der Böckler-Stiftung, sieht einen neuen Trend. „Das Konfliktpotenzial wächst in der Breite. Der Abschluss von Tarifverträgen ist keineswegs überall mehr selbstverständlich.“

Streikanträge bei Verdi auf Rekordniveau

Vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di bekommt zu spüren, dass sich immer mehr Arbeitgeber gegen die Sozialpartnerschaft stemmen. Ver.di streike mittlerweile im Schnitt jede Woche, so Dribbusch. 2012 lagen der Ver.di-Spitze 188 neue Anträge auf Arbeitskampfmaßnahmen vor – so viel wie noch nie in der Geschichte der seit 2001 bestehenden Gewerkschaft. „Viel Konfliktpotenzial gab und gibt es im Gesundheitsbereich, wo Kliniken privatisiert wurden“, so Dribbusch. Als Folge gebe es mehr Auseinandersetzungen um Haustarifverträge.

Auch in diesem Jahr erwartet die Böckler-Stiftung zahlreiche Arbeitsniederlegungen. Im öffentlichen Dienst laufen bereits Warnstreiks. Neu verhandelt wird zudem in der Metall- und Elektroindustrie sowie im Einzelhandel. Dort dürfte es wohl zu größeren Konflikten kommen, nachdem die Arbeitgeber bundesweit die Manteltarifverträge gekündigt haben.

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1 Kommentar

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  • N
    Nordwind

    Wie kann denn etwas bröckeln das durch den Einfluß neoliberaler Ideologen schon seit langer Zeit aufgegeben wurde?

     

    Sozialpartnerschaft kann nur auf gleicher Augenhöhe funktionieren. Betrachtet man die Entwicklung seit etwa 1980 sollte eigentlich klar sein: dies ist schon lange nicht mehr der Fall.

     

    Die Sozialpartnerschaft bröckelte nie durch streikende Arbeitnehmer, sie wurde systematisch von marktradikalen Ideologen zerstörrt. Übrig blieben schwache Gewerkschaften die nur noch für eine Alibiveranstaltung zu gebrauchen sind.

     

    Schon Überschrift und Untertitel dieses Artikels wollen hier offensichtlich die Verhältnisse auf den Kopf stellen.

     

    Die Herren von INSM und Bertelsmann werden sich sicher mit einem Dankschreiben gewogen zeigen.