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Zumwinkel, Sozialbetrüger und Co.Unbequeme Wahrheiten

Erst mussten wir Abschied nehmen von Klaus Zumwinkel, Manager der Herzen. Nun geht es lieb gewonnenen Mythen unserer Gesellschaft an den Kragen.

Traurig, so ein Abschied von Illusionen. Bild: dpa

Wenn heute also der nächste Beamte an der nächsten Türe klingelt und den nächsten Sünder abführt, nimmt die Aufklärung des bisher größten Steuerhinterziehungsskandals in Deutschland ihren Lauf. Und das ist einerseits selbstverständlich gut, vor allem für die für die Gerechtigkeit im Gemeinwesen kämpfenden Sparten der Politik.

Andererseits bedeutet Aufklärung leider immer auch den Verlust von bislang unhinterfragten Selbstgewissheiten, als da wären:

Wer sich die Bluthunde des Fiskus bisher vorgestellt hat als eine Art coole Elitetruppe mit Lizenz zum Nervtöten und einem starken Staat im Hintergrund, muss umdenken: Es handelt sich bei der Steuerfahndung offenbar eher um einen notorisch unterbesetzten Betrieb voller frustrierter Aktenwälzer mit Bandscheibenleiden und einer röchelnden Kaffeemaschine im Hintergrund. Schade.

Die lustigen kleinen Silberlinge entwickeln sich langsam zur Nemesis unserer Zivilisation. Zunächst als Spielzeug für minderjährige Computerfreaks belächelt, machten DVD und CD-ROM als Erstes die Film- und Plattenindustrie kaputt - um durch ihre enorme Speicherkapazität und als handliche Alternative zum Aktenberg endlich zum willkommenen "Pharaonengrab" (Spiegel) für die Ermittler zu avancieren. Teuflische kleine Dinger sind das, man sollte sich vor ihnen in Acht nehmen.

Im europäischen Konzert der Mächte galt das überraschend charmefreie Fürstentum unter Historikern stets als überraschend lebensfähiger Appendix des untergegangenen Habsburgerreichs Österreich-Ungarn.

Ärzte dagegen warnten schon immer, dass wurmförmige Ausstülpungen besonders anfällig für Entzündungen sind - und empfehlen die chirurgische Entfernung des betroffenen Wurmfortsatzes, was in der Regel keine negativen Auswirkungen für die betroffenen Menschen hat. Außer natürlich für Johannes Adam Ferdinand Alois Josef Maria Marko dAviano Pius von und zu Liechtenstein, versteht sich.

Über Geld spricht man nicht - dieses Credo zählt nicht nur in der oberen Schicht, sondern und vor allem in der Mittel- und Aufsteigerschicht zu einem deutschen Lebensprinzip. Von daher weiß niemand so genau, wer hier was verdient, es sei denn, er gewinnt bei Günther Jauch.

Der selbst jedenfalls zählt zu den Potsdamer Sehr-viel-Verdienern, die bisher das gemacht haben, was in Deutschland von Reichen verlangt wird: Sozial Gutes getan (in diesem Fall Potsdam wiederaufgebaut) und nicht weiter Wind darum gemacht, auf dass der Klassenfrieden schön gewahrt bleibe. Seit letzter Woche nun ist ausgesprochen klar: Ja, es gibt sie, die Superreichen, zahlreich auch in Deutschland, und schlimmer noch, sie benehmen sich auch so: Mein Geld gehört mir!

Sozialbetrüger

Bisher hatten die Beamten von den Sozialbehörden ein überschaubares Einsatzgebiet: sogenannte soziale Brennpunkte, in denen lebenspartnerliche Wohngemeinschaften aufzuspüren waren, die unrechtmäßig Hartz IV beziehen oder mit Putz- und anderen Nebenbeitätigkeiten eigentlich genügend Geld verdienen, um ohne Hartz IV auszukommen. Es gibt ja auf der Zahlerseite immer noch die "Steuerehrlichen", die sich gern mal als die Dummen fühlen - nun aber richtig, pardon, gearscht sind.

Wie gut, dass die Sozialdemokratie auch nach dieser schlimmen Entzauberung der Welt Klartext redet: "Wir müssen feststellen, dass einige, die ich die neuen Asozialen der Gesellschaft nennen möchte, sich offensichtlich auf Kosten der Gemeinschaft aus der Verantwortung Steuern zu zahlen, von Recht und Gesetz abgesetzt haben." (Hubertus Heil, SPD-Generalsekretär)

Rheinischer Kapitalismus

Nein, auch in Deutschland gibt es keinen Typ des väterlichen Unternehmensfürsten, der fürsorglich Gewinne für die gesamte Gesellschaft erwirtschaftet.

Ja, auch in Deutschland braucht es eine Bürgergesellschaft, die sich von der tiefgründigen Sozialromantik verabschiedet und sowohl Wirtschaft als auch Staat kritisch und mündig und in Eigenverantwortlichkeit begegnet. Was damit anfängt, selbst keine Steuern zu hinterziehen.

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