Zum "Unser Star für Baku"-Finale: Schnelle Sternchen, fleißige Stars

Führen die "anderen" Castingshows wie "Unser Star für Baku" oder "The Voice of Germany" zum dauerhaften Erfolg? Nicht unbedingt. Es geht um Ausdauer und Magie.

Ivy Quainoo: "Die neue Lena heißt Ivy" – alles klar. Bild: dpa

Freitag am späten Abend, eine Zugfahrt durch dunkles Mecklenburg. Meist ist kein Handyempfang. Plötzlich schafft es eine SMS doch. In ihr stand nur: "Ivy!" Falls man sich eine SMS wie einen Klang vorstellen möchte, so hörte sich diese wie ein Freudenschrei an.

Eine gute Bekannte informierte ihre Handygemeinde über ihr Glücksgefühl. Nicht alle Empfänger ihrer Botschaft werden gleich verstanden haben - aber sie, die sich freute, wird gedacht haben: Niemand auf der ganzen Welt wird "The Voice of Germany" nicht geguckt haben.

Anderntags informierte mich der Musikkonzern Universal, dass Ivy Quainoo auf Tour gehen werde. Und die Süddeutsche Zeitung trillerte entrückt: "Die neue Lena heißt Ivy." Was aber bewog Millionen exzellent ausgebildete Bildungsbürger, wie meine Bekannte eine ist, die doch eigentlich in die Finessen klassischer Musik eingeweiht ist, was trieb sie alle zu einer Show auf Sat.1, die der Geburt eines Stars dienen soll?

Ist "Unser Star für Baku", die Qualifikationsschau für den Eurovision Song Contest, eine Sternwarte, zu deren Chef heute ein 21-jähriger Industriemechaniker namens Roman Lob erkoren wird? Als Erbe jener Lena Meyer-Landrut, die vor zwei Jahren via Casting zu einem europäischen Star wurde?

In Wahrheit, vorläufig formuliert, sind Männer und Frauen wie Lena oder Roman oder Ivy oder Alexander oder Max oder wie sie sonst noch alle heißen, die eine Castingshow gewannen, noch keine Stars - wenn man diesen Begriff halbwegs ernst nimmt. Auffällig ist nämlich, dass von "Deutschland sucht den Superstar" niemand länger als einen Sommer blühte - im besten Fall hat der Sieg Alexander Klaws ein Dasein im Gewerbe des Musicals beschert, und Daniel Küblböck dealt jetzt mit Solarstrom.

Ein Pianist namens Jürgens

Aber sonst? Lena Meyer-Landrut, macht im Musikgeschäft weiter - ob mit Erfolg, weiß noch niemand. Auch ein Roman Lob, sofern er heute Abend Ornella de Santis schlägt, was niemand überraschen wird, könnte in die Spuren Lenas gehen. Aber ist die erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben, sei es DSDS, "The Voice of Germany" oder der Eurovision Song Contest und dessen Qualifikationsschau, schon das Ticket zum Titel des Stars?

1963 entdeckte der legendäre Musikmanager Hans R. Beierlein in einer Schwabinger Kneipe einen österreichischen Pianisten, der ihm recht ordentlich das Publikum, vor allem das weibliche einzunehmen wusste. Sprach ihn an und sagte in etwa: Du willst noch Karriere machen? Und der wollte; Beierlein hingegen wusste, wie das gehen könnte - planerisch.

Erstens, indem er ihm alle bohemistischen Flausen verbot, ihn zur Disziplin anhielt, ihn professionell quasi entmündigte und ihm eine internationale Laufbahn verhieß. So untersagte er ihm, für Deutschland beim Grand Prix Eurovision anzutreten. Alles nur Humtata und bleiche Schlagerei. Udo Jürgens, um jetzt den Namen zu nennen, sollte über Österreich lanciert werden - und so geschah's. Nach dem dritten Anlauf hatte Jürgens es geschafft, 1966 gewann er in Luxemburg mit "Merci Chérie". Und in den Minuten nach dem Triumph sagte Beierlein zu seinem Managementobjekt: Wenn du denkst, dass du es jetzt geschafft hast, irrst du. Allenfalls einen Fuß in der Tür hast du, vielleicht nur eine Zehe. Was jetzt komme, sei Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Inzwischen ist Udo Jürgens eine Legende, eine, die immer noch Hallen füllt. Er musste sich Mitte der Siebziger von Beierleins Knute befreien, er ertrug das beinah militärisch-präzise Dirigat des Managers nicht mehr, er wollte und konnte wieder ganz Solist sein. Davon sind alle Castingsiegenden weit entfernt. Einer wie Alexander Klaws, erster DSDS-Sieger, träumte von der Welt und scheiterte auch im eigenen Land. Als der Kater nach den Siegesnächten verflogen war, stellte er fest: Alles Schall und Rauch. Was einen Star ausmacht, ist nicht die Lüge, die im Moment eines Hits so verführerisch angestimmt wird - jetzt hast du es! -, sondern die Hartnäckigkeit, mit der er am Erfolg weiterarbeitet. Handwerklich und promotionell auch.

Eine brillante Musikerin muss noch kein Star sein, sondern ist eben eine prima Sängerin oder Pianistin. Ein Star wird, wer über das eigene handwerkliche Können hinaus eine Message der persönlichen Art hat. Pop ist, schrieb die britische Theoretikerin Charlotte Greig, zur rechten Zeit mit dem richtigen Material am passenden Platz zu sein. Nena beispielsweise war zunächst nichts als eine Darstellerin im Gefolge der Neuen Deutschen Welle. Dass das Publikum mit ihr mehr und mehr Geschichten und Hintergründe zu verbinden wusste, dass Nena offenbar so etwas wie eine Intimate Truth verkörperte, machte aus der Frau mit den Luftballons eine Figur des öffentlichen Bewusstseins. Kein Sternchen, sondern einen Star.

Das rare Gut Echtheit

Okay, Plattenfirmen behaupten in ihren Pressemeldungen immer, dass sie entweder Stars promoten oder wenigstens Künstler auf dem Wege, zum Stern zu werden. Aber über ein Casting funktioniert das nur eingeschränkt. Ein Wettbewerb ist zunächst nichts als eine Konkurrenz, in die alle möglichen Aspekte einfließen. Lena Meyer-Landrut gewann vor zwei Jahren, weil sie das entscheidende Körnchen Personality mitbrachte, ohne das bewusst inszeniert zu haben.

Ihre Performances hatten immer etwas Unfertiges - und gerade diese Ungeschliffenheit war es, die dem Publikum angenehm war: "Lovely Lena", schrieb ein lettischer Kommentator, als es um den Sieg in Oslo ging - und das Prädikat "liebenswürdig" erntet nur eine, die jedenfalls nicht perfekt gestylt und klangreine Noten zu singen weiß. Lena - das war eine Perle in jener Castingshow inmitten von viel Künstlichkeit. Keine Vokalkünstlerin über drei Oktaven, sondern eine Chanteuse mit eigenem, gelegentlich brüchigen Timbre.

Jedenfalls war das ihre Anmutung - und auf die kommt es ja an, nur auf diese.

Roman Lob hat dieses rare Gut namens Echtheit - ihren Anschein zumindest - ebenso. Er ist auf der Bühne wie hinter dieser, er spielt nicht Gefühle, er macht uns glauben, sie auch wirklich zu empfinden. Ivy Quainoo ist mit ihrem überwältigend deutlichen Sieg bei "The Voice of Germany" noch lange kein Star; sie muss jetzt ihre, wenn man so will, Anschubfinanzierung live auf Bühnen und in Medien verdienen. Sie muss mehr sein als eine, die singen kann. Sie muss Niederlagen erleiden und Comebacks feiern, denn das Publikum macht nur solche zu Stars, die alle Umstände des Lebens bewältigen.

Und was liebt das Publikum am Casting? Dass es eigentlich um Sport geht. Um Punkte, um Wertungen, um Vorlieben und Abneigungen. In ein Urteil fließt immer mehr ein als das, was gesanglich gut oder weniger gut war.

Die Zuschauenden wollen Geschichten, und sie lieben Außenseiter. So wie Ivy Quainoo, deren Vorfahren aus Ghana kommen, die in Neukölln zur Schule ging und endlich ein Star werden kann. Oder Roman Lob, inmitten von KandidatInnen, die aufs höhere Lehramt studieren und aus deren Poren wohltemperierte Mittelschicht schwitzen.

Der mutmaßliche Sieger, der in Baku für Deutschland performen wird, hat diese gewisse prollig-freundliche Natürlichkeit, die so männlich wirkt wie nicht machohaft. Für ihn fängt die Arbeit am Lebenswerk als Popstar bald erst an.

"Unser Star für Baku"-Finale, 20.15 Uhr, ARD
Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.