Zum Tod von Paul Auster: Er erzählte die Wirklichkeit
Der US-Schriftsteller Paul Auster wurde mit fast fliegenden wie abgründigen Geschichten berühmt. Am Dienstag ist er im Alter von 77 Jahren gestorben.
Der Zufall spielt in seinen Büchern eine große Rolle – so auch in dem letzten Essay aus dem Band „Die Kunst des Hungers“, der programmatisch den Titel „Warum schreiben?“ trägt. Tja, warum? Wer hier eine ernste Abhandlung über Schriftstellerei erwartet, wird enttäuscht. Wer sich aber interessiert für ein federleichtes Spiel über das Leben, die Zeichen und die Möglichkeiten, beides zu beschreiben, der wird an dieser Stelle belohnt, so wie in so vielen Romanen des Schriftstellers Paul Auster.
Tatsächlich beschreibt Auster in diesem Text nur fünf große Zufälle. Einmal, das ist der letzte Zufall, trifft er als Achtjähriger sein Baseballidol Willie Mays, den er um ein Autogramm bittet. „Sicher, Junge, sicher“, sagte dieser. „Hast du was zum Schreiben? “ An so einer Stelle sieht man schon: Für solche lakonischen, aber auch genau von den tatsächlichen Sprechweisen realer Menschen abgehörten Dialogsätze hatte Paul Auster ein gutes Händchen.
Aber der kleine Paul Auster hatte in diesem Augenblick keinen Stift bei sich, also bekam er auch kein Autogramm. Der Text geht dann so weiter, dass er von da an immer einen Bleistift in der Tasche hatte und ihn dann irgendwann eben auch für seine Bücher benutzte. Der letzte Satz: „Wie ich meinen Kindern gern erzähle, bin ich auf diese Weise zum Schriftsteller geworden.“
Das ist eine dieser literarisch fast fliegenden wie gleichzeitig auch abgründigen Geschichten, für die der Schriftsteller Paul Auster sehr berühmt geworden ist.
Mit New York blieb er immer verbunden
Spätestens auf den zweiten Blick ist es auch ein Satz, der mit Wahrheit und Fiktion, dem echten und dem ausgedachten Leben spielt. Und bei dem es dann gar nicht darauf ankommt, ob die erzählte Episode nun tatsächlich stattgefunden hat oder ausgedacht ist. Denn es steht ja ausdrücklich da: Die Sache mit dem fehlenden Bleistift ist die Geschichte, die der Autor seinen Kindern „gern erzählt“. Ob sie stimmt? Ist dann gar nicht wirklich wichtig.
Tatsächlich aber hat Paul Auster in seinem realen Leben selbstverständlich viel größere Anstrengungen unternommen, um der bekannte, vielleicht sogar weltberühmte Schriftsteller zu werden, der er dann geworden ist. Geboren wurde Paul Auster am 3. Februar 1947 in Newark, New Jersey, als Sohn einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Großeltern väterlicherseits waren zwei Generationen zuvor aus Stanislau in Galizien (dem heute ukrainischen Iwano-Frankiwsk) eingewandert; auch seine Mutter hatte ukrainisch-polnische Vorfahren. 1968 begann er an der Columbia-Universität in New York Literatur zu studieren. Der Stadt blieb Paul Auster ein Leben lang verbunden.
Während in den USA die Proteste gegen den Vietnamkrieg tobten, ging er für drei Jahre nach Paris, um dort der Literatur der Moderne und der Boheme nah zu sein. Celan, Kafka, Dostojewski, Artaud, die Surrealisten, Dada, alles hat er verschlungen. Für eine Zeit war er der Privatsekretär von Samuel Beckett, einem seiner großen Vorbilder.
Er hat in dieser Zeit aber auch mit sehr wenig Geld gelebt. „Von der Hand in den Mund“ heißt ein autobiografischer Text, in dem Paul Auster recht ironisch von diesen schwierigen Anfängen erzählt. Sie haben ihn zu einer beeindruckenden literarischen Karierre geführt. Den Literaturnobelpreis hat er zwar nicht bekommen, dafür viele andere Auszeichnungen und Ehrungen wie den Prinz-von-Asturien-Preis und den Prix Médicis étranger; er war Ritter der französischen Ehrenlegion, hatte zwei Amtszeiten lang den stellvertretenden Vorsitz des amerikanischen PEN inne.
Hustvedt und Auster: Power Couple des Schreibens
Mit seiner Ehefrau, der Autorin Siri Hustvedt, bildete er ein Power Couple des Schreibens, das über ihre Bücher hinaus immer auch die Fantasie angeregt hat: Porträts entstanden, Filme wurden über sie gedreht. Dass zwei so herausragende Künstler*innen in so enger Lebens- und auch Arbeitspartnerschaft standen – und, auch das gehört zum Bild, dabei so dermaßen gut aussahen –, gibt es ja nicht allzu oft. 1980 zog er mit Hustvedt in den damals noch nicht hippen und intellektuellen Stadtteil Brooklyn.
Berühmt wurde Paul Auster mit den drei schmalen Romanen seiner „New York Trilogie“. Wer am Ende des letzten Jahrhunderts hierzulande Literaturwissenschaft studierte und dabei der sogenannten Postmoderne auf den Grund gehen wollte, kam um sie nicht herum.
Diese von Privatdetektiven bevölkerten und vor dem Hintergrund der quirligen, tobenden Großstadt spielenden Romane sind faszinierende Metaerzählungen, die als Detektivgeschichten durchaus funktionieren, aber nicht aufgehen, weil sie gleichzeitig auch die Aufmerksamkeit darauf lenken, wie Geschichten erzählt werden und damit Wirklichkeit konstruieren. Wechselnde Identitäten, Kriminalfälle, in denen nicht die Aufklärung, sondern die Darstellung existenzieller Probleme im Vordergrund steht, Figuren, die nach Farben benannt werden – ein Wirbel an Einfällen, genauen Dialogen und überraschenden Einwendungen, in den man sich lesend verlieren kann.
16 Romane publizierte Paul Auster insgesamt, dazu zahlreiche essayistische Arbeiten, Gedichte und Sachbücher. „Mond über Manhattan“, „Die Musik des Zufalls“, „Leviathan“, „Mr. Vertigo“ wurden große Erfolge, in Europa sogar noch mehr als in den USA. Filme machte er auch. Für „Smoke“ und „Blue in the Face“ schrieb er das Drehbuch, bei „Lulu on the Bridge“ führte er Regie.
Auster nannte Trump „das Monster“
Sein Roman „Sunset Park“ wurde dann 2012 von der Literaturkritik ganz zu Recht als Versuch einer Neuerfindung als Autor verstanden. Weniger Metaspiele, mehr Realismus. Paul Auster wendete sich hier einer realistischen Schreibweise zu und beschrieb ein Amerika, das in die Immobilienkrise gerutscht war und viele Familien bis an den Rand der Existenz brachte.
Als sein Hauptwerk gilt vor allem der 2017 erschienene Roman „4 3 2 1“. In jedem der sieben Kapitel dieses 1.259-Seiten-Schmökers werden hintereinander vier verschiedene Versionen von Lebensabschnitten des jungen Archie Ferguson ausgebreitet. Sie verlaufen unterschiedlich, weil sich die Dinge zufällig ereignen: Mal verarmt seine Familie, mal wird sie steinreich, mal stirbt der Vater früh.
Als er das Buch auf einer Lesung in Berlin vorstellte, erzählte Auster, dass er den Roman, in dem es auch um die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der Sechziger geht, noch unter Barack Obama als US-Präsidenten begonnen habe, dann mit ihm aber unter Donald Trump aufgewacht sei. An seiner Abneigung gegen Trump hat Auster nie einen Zweifel gelassen. Zusammen mit Siri Hustvedt rief er öffentlich zum Widerstand gegen diesen Präsidenten auf, den er „das Monster“ nannte. Er fürchtete um die Demokratie und war bei der Wahl 2020 Mitbegründer einer Initiative „Writers against Trump“.
Das klang alles besorgt und alarmiert, war es auch, sollte aber nicht das letzte Wort in dem Leben dieses Autors werden. Erst vor einigen Monaten, Ende vergangenen Jahres, erschien noch der Roman „Baumgartner“, in dem es um letzte Dinge und ernste Themen geht – Altwerden, Abschiednehmen, Krankheiten. Ein Buch, das man als doppeltes Vermächtnis verstehen kann – als Geschichte über das Sterben und als letzte Hommage an die Wichtigkeit des Erzählens.
Im Laufe seiner langen Karriere als Schriftsteller hat Paul Auster dabei immer auch ernsthaftere Antworten auf die Frage „Warum schreiben?“ gegeben als die Episode mit dem Bleistift; viele von ihnen kursieren jetzt, gepostet von Fans in den sozialen Medien. „Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden“ liest man da etwa.
Am 30. April ist Paul Auster nach einer Krebserkrankung im Alter von 77 Jahren in New York gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen