Zum Tod von Gotthilf Fischer: Der Mann und seine Millionenchöre
Die Chöre Gotthilf Fischers waren eine Chiffre für das ganz große musikalische Anliegen: Menschen zusammenbringen, Frieden stiften. Nun ist er gestorben.
Er gehörte über viele Jahre zum festen Menschenmobiliar in ARD und ZDF: Gotthilf Fischer, der, so auch seine Selbststilisierung, Deutschen populärster Chorleiter, 1928 im schwäbischen Plochingen als Sohn eines Zimmermeistereiehepaares in keineswegs kleinen Verhältnissen geboren, war von Ende der Sechziger Jahre in so gut wie jeder Show mindestens einmal zu sehen, er und seine Chorist:innen.
Gotthilf-Fischer-Chöre – das war eine Chiffre für das ganz große musikalische Anliegen, das gemeinsame Singen, das, so Fischer selbst, Frieden bringe. Sein Lebenscredo, Sendung für Sendung, öffentliche Performance für öffentliche Performance bekundet, lautete, angelehnt an Johann Gottfried Seumes Gedicht „Die Gesänge“: „Wo man singet, laß dich ruhig nieder, / Ohne Furcht, was man im Lande glaubt. / Wo man singet, wird kein Mensch beraubt. / Bösewichtiger haben keine Lieder.“
Fischer, ein musikalischer Autodidakt, der gleichwohl auf lobenden Worten des später berühmteren Dirigenten Sergiu Celebidache gut ein Fundament chorischer Versiertheit aufbauen konnte, war Ende der Sechziger erstmals in der Primetimeshow in Wim Thoelkes „Drei mal Neun“ mit einem Teil seiner Chorgemeinschaft zu sehen und hören: Das gefiel dem damaligen Mainstream des Publikums – in unruhigen Zeiten, Ende der Sechziger, frühe Siebziger, als das Moralkorsett der nachnationalsozialistischen Bundesrepublik heftig erschüttert wurde, kam da ein Mann, der mit freundlicher, ins Heitere kippender Stimme und körperlich absolut unkantig nur eine Botschaft hatte: Musik heile, sie bringe Menschen zusammen.
Er und seine Chöre waren unvermeidlich
Zu dirigieren – wenn man das der Koordination von Gesangseinsätzen nützliche Auf-und-ab-Gestikulieren seiner beiden Arme, gern im Stadionrund, so nennen möchte – lernte er noch in der Schule während der Lehrerausbildung: dirigierender, leicht wippender Körpereinsatz, wie man ihn von Lehrer:innen in Schulaulen kennt.
Dass dieses Liedgut, deutsches aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, auch in den Jahren des Nationalsozialismus zur völkischen (und durchaus antijüdischen) Erbauung gegen alles Fremde in Gebrauch war, fand in ihm nie besonderes Nachdenken. Gotthilf Fischer, tiefreligiös und dem Guten zugewandt, machte als Leiter von Laienchören Karriere wie keiner.
Konzerte zum Finale der Fußball-WM in Deutschland, beim Papst im Vatikan, in den USA vor Präsident Jimmy Carter – die Kulissen der Auftritte Fischers waren in aller Welt wie für ihn aufgebaut. Seine ARD-Show „Straße der Lieder“ hatte ein Millionenpublikum, Auftritte in „Verstehen Sie Spaß?“ und allen Shows von Rang – dieser Mann und seine Chöre waren unvermeidlich.
Gotthilf Fischer, ein Alter von unverbiesterter Milde
Dabei im Mittelpunkt immer er selbst, nie auch nur irgendeine:r seiner Chorist:innen: ein 1b-Promi, der nicht einmal singen konnte – was für eine Karriere.
In diesem Sinne war er in den nuller Jahren ein verdienter Kulturarbeiter der öffentlich großen Nummern. Machte immer viel Wind, erlitt angeblich bei einem Gastauftritt vor 20 Jahren bei der Berliner Loveparade einen Ecstasy-Schwächeanfall, machte auch vor einem Auftritt bei Bully Herbig nicht halt: Gotthilf Fischer, ein Alter von unverbiesterter Milde, den Kinder egal welchen Alters mochten. Freitag, wie erst jetzt bekannt wurde, ist er mit 92 Jahren in Weinstadt gestorben.
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