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Zum Tag gegen Gewalt gegen FrauenHäusliche Gewalt ist keine Privatsache

Zwei Jahre lang wird Greta von ihrem Partner physisch und psychisch misshandelt. Viele Zeu­g*in­nen schauen lieber weg. Dabei geht Gewalt alle an.

Feministische Demo am 8. März Foto: Stefan Boness/Ipon

Im Herbst 2023 fährt Greta* mit ihrem damaligen Partner Stefan* übers Wochenende weg. Sie freut sich auf den Ausflug, doch er scheint angespannt zu sein. Als sie aus dem Zug steigen, keift er sie an: „Warum hast du jetzt so gute Laune?“ So erzählt es Greta zwei Jahre später der taz. „Er schien ernsthaft ein Problem damit zu haben, dass ich glücklich war.“

Im folgenden Jahr habe sich die Beziehung zunehmend verschlechtert: von immer heftigeren Streits bis hin zu körperlicher Gewalt. Wenn die heute 33-Jährige einem Konflikt entfliehen wollte, habe Stefan sich ihr in den Weg gestellt und sie so fest am Arm gepackt, dass ihre Oberarme häufig von blauen Flecken übersät waren und sie auch im Sommer lange Ärmel trug. Einmal habe Stefan sie so heftig auf eine Treppe geschubst, dass Gretas ganze Hüfte blau angelaufen sei.

Viele Konflikte hätten denselben Auslöser gehabt: Stefan wollte Aufmerksamkeit und Bestätigung durch Sex. Ohne zu fragen, habe er sie einfach berührt, oft schon morgens früh, bevor sie richtig wach war – ein klarer Fall von sexueller Gewalt. „Er konnte kein Nein akzeptieren. Sein Argument war: Ich bin doch dein Freund – aber das gibt ihm ja nicht das Recht, mich einfach anzufassen.“

Das habe Greta durchaus klar kommuniziert. Stefan sei beleidigt gewesen, habe ihr vorgeworfen, sich nicht auf ihn einzulassen und ihr das Gefühl gegeben, „eine schlechte Freundin“ zu sein. Tatsächlich habe sie ihn irgendwann nicht mehr entspannt küssen können, ohne Angst zu haben, damit Erwartungen zu wecken und in einen erneuten Konflikt zu steuern. „Gleichzeitig hat es mir so gefehlt, ihm auf eine schöne Art nahe zu sein.“

Männer wollen bestimmen

Es sei typisch für häusliche Gewalt, dass die Täter, meist Männer, über eine Frau bestimmen wollen, sagt Nua Ursprung zur taz. Sie ist Sprecherin der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Oft gehe es um sexuelle Verfügbarkeit, manchmal um konservative Geschlechterrollen und eigentlich immer um Macht und Kontrolle. In unserer patriarchalen Gesellschaft würden schon kleine Jungen lernen, dass sie entsprechende Ansprüche haben dürfen. Was sie seltener lernen: über ihre Gefühle reden und Konflikte gewaltfrei lösen.

Dabei hatte Gretas Beziehung ganz anders begonnen. Sie litt eine Zeit lang an Panikattacken, fühlte sich unsicher mit fremden Männern, doch bei Stefan war es anders. Sie erinnert sich noch gut an das warme Gefühl, das er bei ihr ausgelöst hatte, an seine liebevolle Ausstrahlung, als sie sich kennenlernten. Im Herbst 2022 kamen sie zusammen und anfangs lief es gut. Über ihre verschiedenen Bedürfnisse hätten sie damals noch gut sprechen können. „Deshalb hatte ich lange die Hoffnung, dass wir das hinkriegen“, sagt Greta.

Partnerschaftliche Gewalt sei zu Beginn oft noch gar nicht als solche zu erkennen, erklärt Nua Ursprung. Sie beginne mit vermeintlichen Kleinigkeiten wie Beleidigungen oder psychischen Spielchen und steigere sich so schleichend, dass Betroffene sich daran gewöhnen. Bis es ihnen normal vorkomme, dass der Partner sie anschreit, den Kontakt mit Freun­d*in­nen verbietet oder das Handy kontrolliert.

Das hängt auch mit Gaslighting zusammen, einer Form der Manipulation, bei der der Täter das Opfer an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lässt. So habe Stefan Greta die alleinige Schuld an den Auseinandersetzungen gegeben, wie sie erzählt: Es liege an ihrem Verhalten, dass er handgreiflich geworden sei. Sie habe ihn provoziert. Das nennt man auch Täter-Opfer-Umkehr. Irgendwann habe sie das tatsächlich geglaubt – und auch deswegen niemandem von der physischen Gewalt erzählt.

Opfer empfinden Scham

Wenn es dadurch nicht das Feedback von außen gibt, dass der Partner zu weit geht, verschärft das diesen Glauben, sagt Ursprung. Dass Greta außerdem einen Loyalitätskonflikt empfand, sei ebenfalls typisch. Denn meist gebe es auch viele schöne Momente mit dem Täter. „Einige gehen selbst, wenn sie schon in ein Frauenhaus geflüchtet sind, anschließend zu ihm zurück.“ Schließlich sei Scham ein häufiges Thema, gerade bei feministisch eingestellten Frauen, die sich nicht eingestehen können, dass ihr Selbstbild einer emanzipierten Frau sie nicht vor Gewalt schützt.

So ähnlich ging es auch Greta: „Wenn ich es laut ausgesprochen hätte, wäre es wirklich wahr geworden.“ Und sie hatte Angst vor den möglichen Konsequenzen. Das Eingeständnis, dass man Hilfe braucht, macht vielen Betroffenen mehr Angst als die Gewalt selbst – „denn die kennt man ja schon“, erklärt Ursprung.

Mit dem Ende einer Partnerschaft müsse jedoch oft ein ganzes Leben neu organisiert und eine neue Wohnung gesucht werden. Manchmal gebe es gemeinsame Kinder, finanzielle Abhängigkeiten oder ein Aufenthaltsstatus hänge an einer Ehe.

Obwohl Greta nicht über die Gewalt redete, muss ihrem Umfeld etwas aufgefallen sein. So habe sie nach Ende der Beziehung oft die Rückmeldung bekommen: „Ich hatte schon länger kein gutes Gefühl.“ Oder auch: „Ich habe dich ja kaum noch gesehen.“ Während dieser Zeit habe sie jedoch niemand direkt darauf angesprochen, wohl um sich nicht in eine fremde Beziehung einzumischen. Rückblickend hätte Greta sich gewünscht, dass ihre Freun­d*in­nen darauf weniger Rücksicht genommen und sie offen mit ihren Ahnungen konfrontiert hätten.

Das empfiehlt auch Ursprung: „Häusliche Gewalt ist keine Privatsache, sondern ein Symptom des Patriarchats, das uns alle angeht.“ Wer sich Sorgen macht, ein*e Freun­d*in könne von Gewalt betroffen sein, sollte in einer ruhigen Minute, wenn der Täter weit genug entfernt ist, ein Gespräch anbieten, unter Umständen auch zur Trennung raten.

Die Bedeutung des Umfelds

Wer unsicher sei, könne sich auch als angehörige Person bei der Hotline der BIG melden oder sich mit dem*­der Betroffenen gemeinsam beraten lassen. Als Un­ter­stüt­ze­r*in nicht die ganze Verantwortung alleine zu tragen, sei auch deshalb wichtig, weil die Gewalt des Täters bei Trennungen oft noch mal eskaliere oder in Stalking übergehe. Hauptsache man bleibe nicht untätig, denn „häusliche Gewalt endet schlimmstenfalls in einem Femizid“, betont sie.

Obwohl Greta bereits über eine Trennung nachgedacht hatte, zieht sie im Frühjahr 2024 mit Stefan in eine gemeinsame Wohnung. Sie glaubt seinen Versprechungen, das gebe ihm Sicherheit und hofft, die schöne Zeit vom Anfang könnte noch mal neu aufleben. Doch tatsächlich wird alles nur schlimmer: Er muss nicht mehr fürchten, seine früheren Mit­be­woh­ne­r*in­nen könnten von den lautstarken Streits allzu viel mitbekommen – und sie kann nirgendwohin mehr flüchten.

Auch deswegen besteht Greta ein halbes Jahr später darauf, dass sie in ihrem gemeinsamen Urlaub Freun­d*in­nen besuchen. „Mit Stefan eine längere Zeit allein zu sein, kam mir gefährlich vor.“

Dennoch eskaliert die Situation in Österreich. Er scheint sich von Greta vernachlässigt zu fühlen, weil sie in einem Buch liest, so erzählt sie es. Über Stunden spitzt sich der Konflikt zu, bis Stefan sie in den Schwitzkasten nimmt. Danach verlässt sie die Wohnung, er folgt ihr. Und schlägt zu – mit der flachen Hand in ihr Gesicht.

Keine Hilfe in der Öffentlichkeit

Greta stürzt, will fliehen, doch Stefan bleibt ihr auf den Fersen. Sie spricht einen Mann mit Hund an: „Können Sie mir helfen?“ Doch der geht einfach weiter. Sie steigt in eine Straßenbahn und bittet die Umstehenden, zu verhindern, dass Stefan mit einsteigt. Niemand reagiert. Die meisten Menschen gucken einfach auf ihr Handy. Greta fühlt sich nicht nur hilflos, sondern zweifelt erneut an ihrer Wahrnehmung: „Wenn niemand reagiert, ist dann gar nichts Schlimmes passiert?“

Ursprung appelliert an Zeu­g*in­nen eines solchen Falles, sich unbedingt solidarisch zu zeigen, die betroffene Person anzusprechen und bei ihr zu bleiben. Wer konkrete körperliche Gewalt beobachte, solle auf jeden Fall die Polizei rufen. Die habe in Berlin eine Kooperation mit der BIG, sodass der*­die Betroffene am nächsten Tag von einer geschulten Beratungsperson kontaktiert werde.

Zwei Tage später fährt Greta mit Stefan nach Berlin zurück, jedoch nicht mit ihm nach Hause, sondern direkt zu einer Freundin – obwohl er damit droht, sich etwas anzutun. Am nächsten Tag zeigt sie ihn wegen Körperverletzung bei der Polizei an und lässt die blau angelaufenen Schwellungen, die sie an Auge, Nase und Armen bekommen hat, in der Gewaltschutzambulanz der Charité dokumentieren. Anzeige, Charité-Bericht und Fotos der Verletzungen liegen der taz vor.

Anschließend erwirkt Greta beim Amtsgericht ein Kontaktverbot gegen Stefan. „Der Antragstellerin ist die vormals gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zuzuweisen“, heißt es in dem Schreiben. Außerdem darf Stefan sich Greta ein halbes Jahr lang nicht nähern. Seit seinem Auszug hat sie ihn zum Glück nicht wieder gesehen. Greta hat es geschafft, sich aus der gewalttätigen Beziehung zu lösen.

Vielen anderen Betroffene gelingt das nicht. Umso wichtiger seien Gewaltschutz- und Präventionsprojekte, betont Ursprung. Doch der Berliner Senat will die finanziellen Mittel für Gewaltschutz, auch für die BIG, im kommenden Jahr um mindestens zwei Prozent kürzen – obwohl die Zahl der von Gewalt betroffenen Frauen 2024 einen neuen Rekordwert von 42.751 Fällen erreicht hat.

* Alle Namen sind zum Schutz der Betroffenen geändert

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