Zum Ramadan-Start: Das Kochen in Gedanken
Für mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt beginnt der Fastenmonat Ramadan – ein guter Anlass, die eigenen Ess- und Konsumgewohnheiten zu überdenken.
H eute beginnt für mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt der Ramadan - der Zeitpunkt variiert je nachdem, wann die Sichel des neuen Mondes das erste Mal zu sehen ist. Vor ein paar Tagen wurde mir dabei ein Problem bewusst, das noch weit vor dem eigentlichen Fasten beginnt: Ich werfe zu viel weg. Vor allem Essen. Manchmal werfe ich so viel Essen weg, dass man davon beinahe eine weitere Mahlzeit hätte kochen können.
Die Aubergine, die ich im Supermarkt gekauft habe, weil ich gern mal wieder Aubergine essen würde: sie liegt jetzt in einer Schale und wird jeden Tag etwas welker. Vorgestern noch glänzend dunkelviolett, heute schon matt und bald in einem solchen Zustand des Verfalls, dass ich sie "guten Gewissens" entsorgen kann. Ebenso die Ökomöhren im Kühlfach. Möhren sind ja sehr gesund, zumal wenn sie öko sind, und ich habe ein sehr gesundheitsbewusstes Gefühl, wenn ich sie kaufe. Bloß gegessen sind sie damit noch nicht.
In solchen Fällen kann man an sich selbst beobachten, wie Kapitalismus funktioniert - oder zumindest der Konsumismus. Der Konsum fühlt sich so echt an wie das echte Leben: Man ist geneigt, beides zu verwechseln. Andere kennen das Phänomen im Bereich Sportausstattung: Man kauft sich neue Jogging-Schuhe, perfekt für die Knie, individuell abgestimmt auf Straßenverhältnisse und Laufgewohnheiten - die es so leider noch nicht gibt. Und leider kommt es auch nicht dazu, solche Laufgewohnheiten zu entwickeln. Denn der Kauf eines Gegenstands ersetzt seinen Gebrauch. Kaufen ist also im Bereich der Handlungen das, was beim Warentausch das Geld ist - es ist die universale Tätigkeit.
Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide.
Die Lust beim Kaufen
Ich kenne Frauen, die lieben es, Klamotten zu kaufen und in den Schrank zu hängen - egal, ob sie sie nun auftragen oder nicht. Im Kauf liegt die Lust - nicht im Gefühl des Stoffes auf der Haut, nicht im zufriedenen Blick in den Spiegel. So ist es auch beim Essen. Im Supermarkt kocht man gleichsam in Gedanken, schon beim Anblick all der frischen Zutaten läuft einem das Wasser zusammen. Doch zu Hause ist man dann zu erschöpft oder zu hungrig zum Kochen - prompt wird eine Pizza in den Ofen geschoben.
Zu Verteidigung von uns heutigen Konsumenten mittleren und jüngeren Alters muss man allerdings auch sagen: Wir haben den bewussten Gebrauch von Nahrungsmitteln nicht gelernt. Die meisten von uns kennen nicht nur keinen Hunger, sondern haben auch weder Vorraten noch Haushalten erlernt. Was das einst alles umfasste, habe ich erst verstanden, als ich die Mutter meines Vermieters interviewte - eine wundervolle siebzigjährige Dame, die lange Zeit ein großes landwirtschaftliches Gut führte. Sie und ihre Helferinnen beackerten die Beete, kochten das Gemüse ein, legten Mieten mit Kohl und Rüben an, rührten Marmeladen und Kompotte - wenigstens Letzteres ist uns aus nostalgischen "Großmutter wusste es noch"-Büchern bekannt.
Speiseplan nach Jahreszeit
Im Winter aber begann der umgekehrte und weitaus weniger malerische Prozess: Dann wurde all das Geerntete und Eingelegte aufgebraucht. Regelmäßig wurden die Vorräte kontrolliert, beim Verzehr arbeitete man sich an einer Rangfolge ab, an deren Spitze das am leichtesten Verderbliche, am wenigsten Frische und nicht mehr ganz so Einwandfreie stand. Jede Woche machten die Frauen einen Haushaltsplan, der sich an dem orientierte, was verbraucht werden musste. Man aß, was da war - nicht umgekehrt, so wie wir es heute machen. Heute stellen wir uns in die Küche und fragen uns: Worauf hätte ich denn Lust? Was könnte es denn mal wieder geben?
Ich will die Vergangenheit nicht romantisieren, im Gegenteil. Ich kann es auch gar nicht romantisieren, denn zu unserem heutigen Verständnis von Lust am Essen gehört eben die Freiheit, dem spontanen Geschmack zu folgen und nicht einem festgeschriebenen Speiseplan. Bei der Vorstellung, jeden Tag das kochen zu sollen, was ich zu einem früheren Zeitpunkt festgelegt habe, wird mir direkt mulmig zumute: Als ob mich jemand zwingen wollte, etwas zu essen, was ich nicht will. Dabei habe ich es selbst ja vor wenigen Tagen erst so geplant!
Man darf sich nicht einbilden, die vermeintlich "guten alten Zeiten", in denen den Menschen noch jedes Körnchen etwas wert war, ließen sich wieder herstellen. Eher sollte man sich fragen, ob man selbst irgendeine schöne Erinnerung an solche Arten des Essens hatte, die sich vielleicht reaktivieren ließen. Wann habe ich das letzte Mal etwas gerne gegessen, was jemand anders mir kochte, ohne mich vorher nach meinen Wünschen zu fragen? Nicht wie in einer Kantine, wo man immer noch die Pommes frites und die Salatbar als Alternative hat. Nicht wie mit einem Partner, der vorm Kochen kurz rückfragt: Ich wollte dies oder jenes machen, ist das okay?
Der Geschmack der Kindheit
Nein, das letzte Mal, dass jemand für mich etwas "Überraschendes" kochte, war in der Kindheit. Es war ein schönes Gefühl - zumal meine Mutter mich nie zwang, so etwas Schreckliches wie Spinat oder hartgekochte Eidotter zu essen. Man kam heim, man bekam etwas und es war ein Genuss. Man fühlte sich versorgt. Nicht: der Freiheit der Wahl beraubt. Wenn ich in diesem Ramadan also dieses Gefühl von Versorgtsein wiederfinden könnte? Wenn ich nicht nur mehr pflichtbewusste Dankbarkeit, sondern mehr Freude an dem vorhandenen Essen empfände?
Damit wären andere Teile meines Müllproblems natürlich noch nicht gelöst. Da wäre noch die Plastikfolie um die Biogurke. Die Schale mit den Champignons. Tomaten aus der Dose. Kartoffeln aus dem Beutel und Zwiebeln aus dem Netz, so stabil, dass man es zuerst kaum aufkriegt und es nachher als Falle für Säugetiere mittlerer Größe verwendet werden könnte. Wo landet das alles? In einem dieser Müllstrudel im Pazifik, über die wir so viel seltener reden als über die Ölpfütze von BP? Der leuchtend-grüne Wunsch, die Welt vom eigenen Kühlschrank (Energieffizienz AA) aus umkrempeln zu wollen, stößt hier rasch an seine Grenzen. Und trotzdem, um Rio Reiser zu zitieren: Wann, wenn nicht jetzt?
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