■ Die Grünen müssen den Doppelpaß fallenlassen: Zum Kompromiß verdammt
Seit 1997 haben die Grünen bei allen Wahlen Stimmen eingebüßt. In den ostdeutschen Länderparlamenten sind sie nicht mehr vertreten. Und die rot- grüne Bundesregierung kam eher trotz denn wegen ihrer Stimmenzahl zustande. In Hessen verloren sie nun ein Drittel ihrer Wähler. Soviel zur Stärke einer Partei, auf der die Hoffnung ruht, die doppelte Staatsbürgerschaft gegen eine gesellschaftliche Mehrheit, gegen eine siegesgewisse Opposition und gegen Widerstand innerhalb des eigenen Regierungsbündnisses durchzusetzen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eine sinnvolle Maßnahme. Doch die Grünen stehen auf verlorenem Posten. All die guten Argumente werden ihnen nicht helfen, daraus wieder eine aussichtsreiche Position zu entwickeln.
Es wird bei der Reform des Staatsbürgerrechtes einen Kompromiß geben. Das erfordern schon die veränderten Mehrheiten im Bundesrat. Und es wird einen Kompromiß geben, weil die SPD in den anstehenden Wahlkämpfen eine andauernde Auseinandersetzung um die Ausländerintegration vermeiden will. Und den Grünen sollte der Erfolg der Kampagne der Konservativen zu denken geben: An den Urnen wurde auch über die doppelte Staatsbürgerschaft abgestimmt – die grüne Wählerschaft ging nicht hin.
Wenn aber ein Kompromiß bei der Reform des Staatsbürgerrechtes gefunden werden muß, warum dann nicht bereits jetzt? Warum soll erst in den Beratungen des Bundesrates danach gesucht werden? Das einzig plausible Kalkül sind die Wahlen zur Bremer Bürgerschaft im Juni. Gelänge es dort, die große durch eine rot-grüne Koalition zu ersetzen, würden sich die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wieder zugunsten der Regierungskoalition wenden. Das würde auch die Verwirklichung anderer Regierungsprojekte erleichtern und würde die strategische Orientierung der Sozialdemokratie verdeutlichen. Rechnerisch wäre eine solche Konstellation bereits jetzt möglich. Angesichts der Vorlieben der Bremer Sozialdemokratie für die Union wird sie jedoch erst wahrscheinlich, wenn die Grünen in Bremen ihr gutes Ergebnis verbessern oder halten. Bremen wird der nächste Prüfstein auch der rot-grünen Regierungspolitik und grüner Mobilisierungsfähigkeit.
Die Grünen haben ein Akzeptanzproblem. Das mildern sie nicht durch eine Profilierung gegen die SPD, das haben die ersten hundert Tage Rot-Grün gezeigt. Aber auch die Sozialdemokraten verlieren, wenn sie versuchen, auf Kosten des kleineren Bündnispartners an Ansehen zu gewinnen. Deshalb sind beide Seiten gut beraten, mit einer gemeinsamen Vorstellung in die anstehende Auseinandersetzung um die Reform des Staatsbürgerrechts zu gehen. Die letzten Tage haben allerdings gezeigt, daß die SPD ungleich größere Schwierigkeiten hat, zu einer Geschlossenheit zu finden, Absprachen zu treffen und diese auch durchzuhalten. Sie mag ja der Koch sein, aber ein Restaurant führen kann sie deshalb noch lange nicht. Dieter Rulff
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