piwik no script img

Zum 200. Geburtstag Heinrich SchliemannsMehr als ein Leben

Abenteurer, Kunsträuber und Pionier der Archäologie: Heinrich Schliemann fand Troja und scheidet noch zu seinem 200. Geburtstag die Geister.

Schliemann in Troja, 1873 Foto: imago

Rüstem Aslan, Professor an der Universität von Çanakkale und Grabungsleiter in Troja, ist guter Dinge. Stolz führt er durch eine der weltweit bekanntesten bronzezeitlichen archäologischen Stätten. „Der türkische Staat hat hier in den letzten Jahren einiges investiert. Ein Besuch der Grabungsstätte im Nordwesten der Türkei, am Ausgang der Dardanellen in die Ägäis, „ist jetzt auch für archäologische Laien interessanter“, erzählt er.

Ein mit hölzernen Stegen eingerichteter Rundgang mit vielen erklärenden Tafeln in Türkisch und Englisch haben die berühmte Ruinenstätte tatsächlich zugänglicher gemacht.

Auch wenn es nach wie vor schwierig ist, die verschiedenen Schichtungen, die jeweils unterschiedliche Besiedlungsphasen darstellen, auseinanderzuhalten, geben jahrtausendealte mächtige Mauern doch einen Anhaltspunkt, um sich vorzustellen, dass hier einmal eine große Burg existiert hat. „Dass wir diese Mauern heute hier sehen und anfassen können, verdanken wir, bei aller Kritik, Heinrich Schliemann“, sagt Aslan.

Denn genau diese Mauern waren für Heinrich Schliemann der Grund, als er sich um 1868 entschied, nach Troja zu suchen. Eine Burg, wie Homer sie in der „Ilias“ beschrieben hatte, könne nicht völlig verschwinden, befand er. Für die meisten Zeitgenossen von Schliemann war das kompletter Unsinn. Die Burg des König Priamos, die Stadt Troja, die Entführung der schönen Helena und die Kämpfe zwischen den griechischen und trojanischen Helden, das alles sei zwar anregend zu lesen, große Literatur, aber Literatur eben, ein Ausbund der Fantasie eines Dichters.

Homers Troja suchen

Für den damals 48-jährigen Heinrich Schliemann galt das nicht. Er war fest davon überzeugt, dass Homers „Ilias“ eine historische Begebenheit schildert. Troja hatte existiert und der Krieg um Troja hatte stattgefunden, und zwar mehr oder weniger so, wie Homer ihn beschrieben hatte. Mit dieser nicht zu erschütternden Vorstellung im Kopf machte Schliemann sich daran, sein Troja, das Troja Homers, zu suchen.

Ein Krieg, der mehr als 3.000 Jahre vor Schliemanns erstem Spatenstich stattgefunden haben soll, beschrieben rund 400 Jahre später um 800 v. u. Z. von einem Mann, über dessen Existenz man praktisch nichts weiß, von dem sogar fraglich ist, ob er je existiert hat, das war das Ausgangsmaterial für Schliemanns Grabung. Dass er Troja schließlich tatsächlich fand, macht die Faszination für die Figur Heinrich Schliemann aus. Der Urknall der abendländischen Literatur, die „Ilias“ und die „Odyssee“, hatte durch ihn gegen jede Wahrscheinlichkeit einen materiellen Grund bekommen.

Denn obwohl bis heute unter Historikern, Archäologen und Philologen heiß über diesen Ort am Ausgang der Dardanellen diskutiert wird, hat sich doch mehrheitlich die Überzeugung durchgesetzt, dass Troja, Wilusa, Ilya oder wie immer der Ort genannt wurde, nicht nur existierte, sondern ein viel umkämpfter Platz war, weil von dort aus die Einfahrt in die Dardanellen und damit die Route von der Ägäis ins Schwarze Meer kontrolliert wurde, eine Route, die für den Handel in der Bronzezeit bereits hoch relevant war.

Auch können Archäologen heute nachweisen, dass die Stadt um 1180 v. u. Z. niedergebrannt wurde, ein Indiz, dass in der von Homer beschriebenen Phase tatsächlich ein Krieg stattgefunden haben könnte.

Goldschatz des Priamos

Es gibt noch einen zweiten Grund für die bis heute anhaltende Faszination für die Figur Heinrich Schliemann: Seine schier unglaublichen Goldfunde. Gold faszinierte damals wie heute und Schliemann fand nicht nur die Mauern von Troja, sondern in einer Mauernische auch noch den von ihm so genannten „Goldschatz des Priamos“ und zu allem Überfluss wenige Jahre später auch noch die goldenen Totenmasken in den Königsgräbern von Mykene, deren größte er flugs zur Totenmaske von Agamemnon erklärte.

Damit hatte Schliemann endgültig den Status eines Popstars erreicht, der bis heute anhält. Schliemann tat allerdings auch alles dafür, sich ins rechte Licht zu setzen. Als kleiner Mann von knapp 1,60 Meter Körpergröße wollte er unbedingt ganz groß rauskommen.

Er fälschte seinen Lebenslauf, log und betrog, um als Held gefeiert zu werden. Schliemann hat ungefähr 80.000 Briefe hinterlassen. „Neunundneunzig Prozent aller Briefe, die er schrieb, kopierte oder kopieren ließ, sind im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung verfasst“, schreibt einer seiner vielen Biografen, Philipp Vandenberg, in seinem Buch „Der Schatz des Priamos – Wie Heinrich Schliemann sein Troja erfand“. „Nur ein Prozent sind ehrlich.

Er war ein rastloser Workaholic, der zehn Leben lebte, aber zeit seines Lebens einsam blieb, ein Außenseiter und Sonderling. Und so schwanken meine Gefühle für diesen Mann zwischen höchster Bewunderung und tiefer Verachtung“.

Der Selfmademan

Wohl jede/r, der oder sie sich näher mit Schliemann befasst, ist mit dieser Ambivalenz konfrontiert. Schliemann, der aus armen Verhältnissen stammte und nie eine ordentliche Ausbildung bekam, war ein Genie im Erlernen von Sprachen und ein begnadeter Kaufmann. Als Selfmademan wurde er zum vielfachen Millionär, nach heutigen Maßstäben am ehesten mit den Silicon-Valley-Milliardären zu vergleichen.

Doch sein enormer Reichtum stammte auch aus dunklen Rüstungsgeschäften während des Krimkriegs in den 1850er Jahren. Danach gründete er in Kalifornien eine Bank, um sich an den Goldgräbern zu bereichern, die bei ihm ihre Funde deponierten.

Er erkaufte sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen amerikanischen Pass, um sich in den Staaten von seiner russischen Frau scheiden lassen zu können, nur um sich dann anschließend von einem griechischen Popen eine junge Griechin zuführen zu lassen, die seine Muse bei der Eroberung der griechischen Geschichte sein sollte.

Und Schliemann war ein Kunsträuber, der, statt sich an die vom amerikanischen Botschafter mit dem osmanischen Hof ausgehandelte hälftige Fundteilung zu halten, nicht nur den Goldschatz des ­Priamos, sondern weitere Hunderte große, kleine und kleinste antike Funde illegal nach Griechenland schmuggelte, die heute dem Troja-Museum an der Grabungsstätte schmerzlich fehlen.

Der erste Kunstraubprozess

Im ersten Kunstraubprozess der Geschichte klagte der osmanische Hof in Griechenland gegen Schliemann auf die Herausgabe der Hälfte des Goldschatzes. Zwar bekam der Vertreter der Osmanen, der ebenfalls deutsche Antikendirektor des Archäologischen Museums in Konstantinopel, Philipp Dethier, im Prinzip recht, allerdings musste Schliemann den Goldschatz nicht zurückgeben, sondern nur eine Entschädigung dafür zahlen, die er praktisch aus der Portokasse begleichen konnte. Bei Schliemann ist der Übergang zwischen Held und Schurke fließend.

Wer Schliemann dennoch, trotz aller persönlicher Mängel, verehrt, sieht in ihm auch den deutschen Pionier der Archäologie im Feld. Tatsächlich beginnen mit Schliemann die deutschen Ausgrabungen im Osmanischen Reich, im Orient also, wie man im 19. Jahrhundert sagte. Doch auch als Archäologe ist Schliemann mindestens umstritten.

Mit seiner rabiaten Methode, ohne Rücksicht auf Verluste einen Graben durch den Burgberg schaufeln zu lassen, bis er letztlich auf dem nackten Fels landete, hat er unersetzliche Schäden angerichtet.

Er suchte die Burg des Priamos, alles andere interessierte ihn nicht, und er zerstörte deshalb bei seinen ersten drei Grabungen mehr, als er fand. Doch Schliemann hat gelernt und bei späteren Grabungen durchaus Maßstäbe gesetzt. Und ohne ihn wäre, wie Rüstem Aslan zu Recht sagt, Troja wohl nicht ausgegraben worden.

Heinrich Schliemann wurde am 6. Januar 1822 in Neubukow in Mecklenburg-Vorpommern geboren. Er starb am 26. Dezember in Neapel, wurde aber feierlich in Athen begraben. Zu seinem 200. Geburtstag eröffnet das Pergamonmuseum eine Schliemann-Ausstellung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!