Pestizidprüfer mit blinden Flecken

Essen UN-Experten halten das Ackergift Glyphosat für „wahrscheinlich krebserregend“. Nun stellt sich heraus: Mehrere ihrer Studien hat das zuständige Bundesamt im wichtigsten Risikobericht über das Mittel ignoriert

Biobauern verzichten auf chemisch-synthetische Pestizide wie Glyphosat – und sind stolz darauf Foto: Paul Langrock/Zenit

von Jost Maurin

BERLIN taz | Wie kann das sein? Die deutschen Behörden haben das meist verkaufte Pestizid Glyphosat als sicher eingestuft. Doch die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation hält das Unkrautvernichtungsmittel für „wahrscheinlich krebs­erregend“. Ein Teil der Antwort lautet: Weil die Prüfer beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mehrere Studien nicht berücksichtigten, mit denen die IARC-Experten ihr Urteil über Glyphosat begründen.

Das BfR hatte die Gesundheitsrisiken in einem bisher nicht publizierten Bericht von Dezember 2014 für die EU analysiert. Anlass war der Antrag des US-Herstellers Monsanto auf Wiederzulassung des Pesti­zids, dessen Genehmigung Ende 2015 ausläuft. Ergebnis: Keine Hinweise auf eine krebserzeugende Wirkung, Glyphosat sei „nicht giftiger als bisher angenommen“. Das war der letzte BfR-Bericht, bevor die IARC ihr anders lautendes ­Fazit im vergangenen März veröffentlichte.

Nur „die meisten“ epidemiologischen Studien, mit denen die IARC ihre Einschätzung begründet, habe das BfR in seinem Bericht berücksichtigt, antwortete die Behörde nun auf eine Frage der taz. Und weiter: „Es wurden jedoch nicht alle mechanistischen und anderen Studien analysiert, die die IARC ihrem Bericht in Kapitel 4 zugrunde legt.“ In diesem Abschnitt untersuchen die Forscher der UN-Agentur in Lyon die Mechanismen der Krebsent­­stehung durch Glyphosat. Genau welche Studien das BfR berücksichtigt hat, hält das Amt geheim – um den „behördlichen Entscheidungsprozess auf europäischer Ebene“ nicht zu behindern.

„Es werden alle diejenigen Studien ausgemustert, die dem Stoff gefährlich werden können. Das stinkt zum Himmel“, sagte Harald Ebner, Gentechnik-Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, der taz. „Ob Schlamperei oder interessengeleitet – sachgerecht ist es auf jeden Fall nicht.“ Ebner wirft dem BfR schon lange personelle Verbindungen zur Industrie vor.

Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zeigte sich „überrascht“ von der Antwort der BfR-Sprecher: „Sie erwecken ja immer den Eindruck, dass ihnen keine Daten durch die Lappen gehen.“ Tatsächlich schreibt das Amt auf seiner Internetseite, dass es „grundsätzlich alle verfügbaren, publizierten Studien“ einbeziehe – im Falle Glyphosat seien es mehr als 1.000 Quellen gewesen. „Aber hier sind ihnen offenbar entscheidende Informationen durch ihr eigenes Raster gefallen“, so Moldenhauer. Deshalb müsse das BfR dringend die Kriterien überprüfen, nach denen es vorgehe.

„Das stinkt zum Himmel“, sagt der grüne Bundestags­abgeordnete Harald Ebner

Die Umweltschützerin kritisierte auch, dass die Pestizidhersteller sich selbst aussuchen dürften, welcher Staat für die EU die Risiken prüft. Bei Glyphosat habe Deutschland das nun sogar schon bei mehreren Zulassungsanträgen übernommen. „So kann über Jahre zu viel Nähe zwischen Industrie und Behördenmitarbeitern entstehen.“

Das BfR erklärte in einer Stellungnahme für die taz, es arbeite „stets wissenschaftlich fun­diert und mit höchster Sorgfalt“. Bei den mechanistischen und anderen Studien, die das IARC zitiert, werde Glyphosat „häufig“ nicht allein, sondern in Verbindung mit anderen Chemikalien verwendet. Glyphosat ist der Hauptwirkstoff, der in handelsüblichen Pestizi­den wie Monsantos Round­Up kom­biniert wird mit anderen Sub­stanzen. Weil diese Bei­stoffe giftiger sein könnten als Gly­phosat, sei die Aussagekraft solcher Studien „für die reine Wirkstoffprüfung im Rahmen des EU-Genehmigungsverfahrens gering“.

„Häufig“ sei aber eben nicht „immer“, sagt Umweltschützerin Moldenhauer dazu. Ergebnisse aus Versuchen mit glypho­sathaltigen Mitteln könnten sehr wohl Anhaltspunkte für einen ernstzunehmenden Verdacht liefern. „Die Studien“, so die Aktivistin, „hätten zumindest im Quellenverzeichnis des BfR-Berichts auftauchen müssen.“