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Zukunft deutsch-syrischer BeziehungenPartner für ein neues Syrien?

Eine Million Syrer leben in Deutschland, ihr Land wird nun wieder aufgebaut. Das ist die Chance für Deutschland, aktiv den Nahen Osten mitzugestalten.

Syrien ist auf einem langen Weg zu Frieden, Demokratie und Wiederaufbau Foto: Omar Albam/AP/dpa

S eit dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad im Dezember 2024 befindet sich Syrien in einer neuen Phase. Sie geht über bloße politische Veränderung hinaus. Die außenpolitischen Beziehungen werden neu gestaltet, der Staat muss komplett wieder aufgebaut werden.

In diesem Zusammenhang steht Deutschland vor einem entscheidenden Moment: Soll Berlin in der Rolle des humanitären Gebers verharren, oder nutzt es die Gelegenheit, ein strategischer Partner beim Wiederaufbau eines neuen Syriens zu werden?

Die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Damaskus im März 2025 – nach über einem Jahrzehnt der diplomatischen Eiszeit – war nicht nur ein protokollarischer Schritt, sondern ein politisches Signal: Deutschland beabsichtigt, sich ernsthaft an der kommenden Phase zu beteiligen.

Doch Berlin stellte keinen Blankoscheck aus; vielmehr knüpfte es sein Engagement an klare Bedingungen: Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, Transparenz und umfassende politische Teilhabe. Bedingungen, welche die Bundesregierung als grundlegend und notwendig erachtet, um eine nachhaltige Partnerschaft zu gewährleisten.

Illustration: Bassel Zoughip
Kolumne ankommen

In der Kolumne ankommen schreiben im zweiwöchentlichen Rhythmus Journalist:innen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“. Begleitend zu den Kolumnen gibt es außerdem die Podcastreihe „Geschafft?! Zehn Jahre nach der Ankunft“ zu hören, die im Rahmen der Freie Rede Podcasts der taz Panter Stiftung erscheint.

Syriens pragmatische Außenpolitik

Die syrische Übergangsregierung unter der Leitung von Ahmad al-Shar’a verfolgt eine pragmatische Außenpolitik, die auf einem Gleichgewicht zwischen den internationalen Akteuren beruht, ohne sich einseitig zu verpflichten. Dieser Ansatz steht im Einklang mit den Prinzipien der deutschen Außenpolitik – insbesondere nachdem Syrien gleichzeitig den Dialog mit sowohl Russland als auch der Ukraine wiederaufgenommen hat.

Diese ausgewogene Haltung bietet Deutschland eine geeignete Grundlage, um eine Partnerschaft aufzubauen, die auf gegenseitigen Interessen und nicht auf kurzfristigen Planungen basiert.

Bild: privat
Osamah Ali Hamad

Stammt aus einer syrischen Oppositionsfamilie und kam als Journalist aus dem Exil auf der arabischen Halbinsel 2015 über das Mittelmeer nach Europa. Heute arbeitet er unter anderem als Trainer in der Europäischen Jugendbegegnungsstätte Weimar.

Der vielleicht größte Gewinn für Deutschland aus einer solchen Partnerschaft liegt in der Stärkung seiner internationalen Rolle. Berlin hat die Chance, ein aktiver Akteur bei der Gestaltung der Nachkriegsordnung im Nahen Osten zu werden – unabhängig vom Einfluss der USA oder Russlands. Das würde Deutschland neue politische Handlungsspielräume eröffnen und seine Position als unabhängige europäische Macht weiter festigen.

Während Syriens zerstörte Infrastruktur wiederaufgebaut werden muss, bieten sich deutschen Unternehmen – bekannt für ihre Effizienz und Qualität – vielversprechende Chancen, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien, Wasser und Industrie. Dabei handelt es sich nicht bloß um Hilfeleistungen, sondern um langfristige Investitionen, die neue Märkte für die deutsche Wirtschaft eröffnen und Arbeitsplätze für beide Seiten schaffen können.

Die syrische Diaspora als strategischer Vorteil

Auch die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, die bereits durch Partnerschaften zwischen deutschen und syrischen Krankenhäusern begonnen hat, zeigt, welches Potenzial in dieser Beziehung steckt.

Die Ausbildung syrischer Ärztinnen und Ärzte, der Wissenstransfer und der fachliche Austausch sind nicht nur humanitäre Maßnahmen – sie stellen eine Investition in Humankapital dar, die auch Deutschland zugutekommt, das unter einem akuten Fachkräftemangel im Gesundheitssektor leidet.

Einer der größten strategischen Vorteile Deutschlands in Bezug auf Syrien ist die syrische Diaspora, die sich in der deutschen Gesellschaft gut integriert hat. Diese Gemeinschaft kann die Rolle als „natürlicher Vermittler“ zwischen beiden Bevölkerungen einnehmen – durch Bildungsinitiativen, universitäre Austauschprogramme und wissenschaftliche Kooperation.

Die Syrerinnen und Syrer in Deutschland sind nicht nur Geflüchtete; sie sind Wissenschaftler, Ärztinnen, Ingenieure und sie können eine zentrale Rolle beim Wissenstransfer und bei der Förderung des gegenseitigen Verständnisses spielen.

Eine Chance neu und nachhaltig zu gestalten

Politische Rhetorik allein genügt nicht mehr. Deutschland ist heute gefordert, sich von der Rolle des humanitären Gebers zum gleichberechtigten Partner weiterzuentwickeln. Eine Partnerschaft, die auf gemeinsamen Interessen und langfristiger Vision basiert, jenseits von Notfallhilfe oder kurzfristigen Projekten.

Die Stabilität Syriens ist längst keine rein nationale Angelegenheit mehr, sondern ein Thema, das regionale Sicherheit und Stabilität in Europas Nachbarschaft direkt beeinflusst.

Deutschland steht heute vor einer seltenen Gelegenheit, seine Nahostpolitik neu zu gestalten, im Einklang mit seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht. Eine Partnerschaft mit Syrien – wenn sie auf realistischer und umfassender Grundlage aufgebaut wird – könnte zu einem Modell für Kooperation zwischen Europa und der Region werden.

Die Jahre 2025 und 2026 werden entscheidend sein. Entweder Deutschland entscheidet sich für ernsthaftes und aktives Engagement oder es überlässt das Feld jenen Akteuren, die weniger an demokratischen Prinzipien interessiert sind und eher dazu neigen, in Instabilität zu investieren.

Ein Projekt der taz Panter Stiftung.

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