Zukunft der Piratenpartei: „Die Basis pöbelt herum“
Der Berliner Pirat Stephan Bliedung glaubt weiter an seine Partei, verrät das aber nur unter der Bedingung, geduzt zu werden.
taz: Stephan, der neue Parteichef hat versprochen, den einstigen Spirit aus dem Jahr 2009 wiederbeleben zu wollen. Was hältst du als Zeitreiseexperte von diesem Plan?
Stephan Bliedung: Ich finde den nicht so schlecht. Damals war eine politische Vision da, die meiner Ansicht nach auch nicht verloren gegangen ist. Nur die Frustration bei den Leuten ist größer geworden.
Woher kommt dieser Frust in der Partei?
Wir merken, dass Themen, die uns wichtig sind, wie der NSA-Überwachungsskandal, politisch komplett ignoriert werden. 2009 hatten wir die Vision, im Bundestag etwas daran zu ändern. Nun sehen wir die politischen Realitäten – wie schwierig es für eine kleine Partei ist, in Parlamenten ihre Ideen umzusetzen.
Innerparteilich läuft alles hervorragend?
Nein, der Umgang mit Leuten, die für den Vorstand kandidieren, ist unterirdisch. Einerseits wird erwartet, dass der Vorstand wichtige Entscheidungen trifft. Aber dann ist die Basis mit diesen Entscheidungen unzufrieden und pöbelt rum, statt sachlich zu diskutieren. Wir müssen die Entscheidungen in der Partei dringend auf mehr Schultern verteilen. Wir reden seit 2009 über Online-Abstimmungssysteme wie Liquid Feedback, aber wir schaffen es bis heute nicht, der Basis damit die Möglichkeit zur verbindlichen Mitentscheidung per Internet zu geben.
36, Piraten-Fachmann für Zeitreisetechnologie, sitzt seit 2011 im Berliner Landesvorstand. Er arbeitet in einer Videothek und setzt sich für eine „friedliche, nachhaltige und schonende Besiedlung des Mars“ ein.
Wäre es sinnvoll, die Piraten in eine Zeitmaschine zu setzen, um ihnen einen Weg aus der aktuellen Krise zu bahnen?
Es wäre eine gute Idee – allerdings nur, wenn wir dann nicht die gleichen Fehler wiederholen, die wir bisher gemacht haben.
Welche Fehler meinst du?
Wir schaffen es nicht, unsere Ideen überzeugend nach außen zu kommunizieren. Viele Leute können sich bis heute unter den Piraten nicht viel mehr vorstellen als eine Linkspartei mit Internetanschluss. Wir müssen ihnen besser erklären, wofür die Piratenpartei steht.
Wie weit müssen wir in die Zukunft reisen, um wieder ein vielversprechendes Bild der Piraten zu sehen?
Wir sind längst eine globale Bewegung, es gibt Piraten in Österreich oder in Australien. Das sind Leute, die sehr ähnlich denken und durch das Internet mit uns vernetzt sind. Sogar die Piraten in Brasilien benutzen seit Jahren Liquid Feedback. Ich schätze also, in zehn Jahren sind wir so weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Außenministertreffen in Brüssel
„Europa spricht nicht die Sprache der Macht“