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Zündeln am Pulverfass

Ein Innensenator aus dem Westen hat das liebste Polit-Ritual der Ostdeutschen verboten. Jetzt reißen in der Hauptstadt alte Gräben wieder auf ■ Von Ralph Bollmann

In den Köpfen wuchern die Verschwörungstheorien, die verhinderten Demonstranten gefallen sich als Märtyrer

Die Mauer ist wieder da. Die Berliner Landesregierung, fast ausschließlich mit Westdeutschen besetzt, hat am Wochenende das liebste Polit-Ritual der Ostdeutschen verboten – den alljährlichen Pilgerzug zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Jetzt wuchern in den Köpfen die Verschwörungstheorien, die verhinderten Demonstranten gefallen sich als Märtyrer. Die Attentatsdrohung eines Einzeltäters, mutmaßt ein linkes Demo-Bündnis, habe der Polizei lediglich einen „willkommenen Anlass“ geboten, „diese Manifestation zu liquidieren“. Das Neue Deutschland glaubt, nicht der „Vielleicht-Attentäter“ habe die Demonstration verhindert: „Die Nötigung kam vom Senat.“ Das einstige FDJ-Organ Junge Welt sprach von den „typischen Tricks des Verfassungsschutzes“.

Was für Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) als bloße Abwägung zwischen Gefahrenabwehr und Demonstrationsrecht daherkommt, hat sich längst zum Ost-West-Konflikt ausgewachsen. Nirgendwo anders als im einst geteilten Berlin hätte der Streit um das Demo-Verbot derart eskalieren können.

Mit einer höchst bigotten Strategie hat vor allem die PDS, Veranstalterin des Gedenkzugs, den Verschwörungstheorien Raum gegeben. Obwohl die Landesvorsitzende Petra Pau die Attentatsdrohung für „real“ hielt, wollte sie die Demonstration nicht absagen. Als aber die Polizei die sonntägliche Versammlung verbot, nahm Pau diese Entscheidung willig hin – und verzichtete auf rechtliche Schritte gegen die Ordnungsmacht. Jetzt soll die Kundgebung am kommenden Wochenende nachgeholt werden.

Die Botschaft war klar: Einerseits wollte die PDS-Spitze nicht verantwortlich sein, falls es wirklich Tote oder Verletzte geben sollte. Andererseits wollte sie es aber vermeiden, mit einer Absage den Zorn der eigenen Basis zu erregen. Im Zweifel sollte die Polizei als Sündenbock herhalten. Doch so leicht ließen sich die Kritiker in den eigenen Reihen nicht beruhigen. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke sprach für viele Genossen, als sie gestern ihre „Kritik und Empörung“ über Paus Verhalten formulierte. Die Landesvorsitzende habe den Eindruck erweckt, es gebe eine „Arbeitsteilung zwischen Polizei und PDS“.

Auch Innensenator Werthebach hat am ost-westlichen Pulverfass gezündelt. Er hat bis heute nicht erkennen lassen, ob er wirklich begriffen hat, was das winterliche Gedenken an Luxemburg und Liebknecht für viele Ostdeutsche bedeutet.

Viele PDS-Anhänger betrachten das politische System der Bundesrepublik mit weit größerem Argwohn als die eigene Parteiführung. Für sie kommt es einer Verkehrung des Täter-Opfer-Verhältnisses gleich, dass die Polizei einerseits den seit drei Monaten wegen einer Brandstiftung gesuchten Erpresser nicht fassen konnte, andererseits 219 Demonstranten festnahm, weil sie sich am Sonntag über das Versammlungsverbot hinweggesetzt hatten.

Dass das Gesetz Demonstrationen verbietet, die die öffentliche Sicherheit gefährden, mag einem obrigkeitsgläubigen Sozialisten noch einleuchten. Dass ein Demonstrant sein Grundrecht auch dadurch verwirken kann, dass er selbst bedroht wird, erscheint ihm dagegen schwer verständlich – auch wenn die PDS bislang stets applaudierte, wenn die Polizei mit dieser juristischen Konstruktion gegen Aufmärsche von Rechtsradikalen vorging: Für ein Verbot reichte es in diesen Fällen schon, wenn der Aufruf zu einer linken Gegendemo Krawalle befürchten ließ. Das Argument, der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen und müsse in solchen Fällen auch Neonazis schützen, ließ die Partei mit dem antifaschistischen Selbstverständnis nicht gelten.

Zweifel, ob der Innensenator wirklich souverän zwischen Demonstrationsfreiheit und Gefahrenabwehr abwägen konnte, liegen auch in seiner Person begründet. Seit vor einem knappen Jahr vier Kurden ums Leben kamen, als sie das unzureichend geschützte isralische Konsulat besetzen wollten, sucht Werthebach auch das kleinste Risiko von Zwischenfällen auszuschließen. Nach einer ganzen Serie von Pannen könnte ihm ein neues Desaster den politischen Todesstoß versetzen.

Noch nie musste in Berlin eine Demonstration wegen einer Attentatsdrohung abgesagt werden. Das nährt unter PDS-Sympathisanten den Verdacht, Werthebachs Entscheidung richte sich gegen das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht. Und das, obwohl der Entscheidung wohl nichts weiter zugrunde lag, als eine realistische Einschätzung der Fähigkeiten einer schlecht organisierten Berliner Polizei, eine solche Demonstration wirksam zu schützen. Bis zum kommenden Wochenende allerdings wollen die Ordnungshüter ein Sicherheitskonzept erarbeiten.

Objektiv kann die nötige Risikoabwägung ohnehin nie sein. Völlige Sicherheit wird es im öffentlichen Raum nie geben. Im verängstigten Amerika haben sich deshalb weite Bevölkerungsschichten schon in die geschützten Räume der Privatautos und Shopping Malls zurückgezogen. Großstädte wie Paris oder London erlebten schon ganze Wellen von Attentaten, die die Polizei nur mit einer völligen Ausgangssperre hätte verhindern können. Und die Jüdische Gemeinde müsste, wollte sie vor ständigen Drohungen sicher sein, wohl auf öffentliche Veranstaltungen verzichten.

Doch so viele Argumente die Kontrahenten auch aufführen mögen – die Grundlinie des Konflikts verläuft stets zwischen Ost und West. Und die PDS als verlängerter Arm ostdeutscher Befindlichkeiten im politischen System des Westens steht dazwischen. Im Landesparlament wollen die Sozialisten das Versammlungsverbot, das sie juristisch nicht verhindern wollten, jetzt politisch attackieren.

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