Zuckerbergs Anhörung im EU-Parlament: Digitale Monster, Macht und ein Sorry
Facebook-Gründer Zuckerberg entschuldigt sich vor dem EU-Parlament für die Datenaffäre. Er gelobt Besserung. Aber wie? Keine Ahnung.
Was dieses Wörtchen angeht, hat Mark Zuckerberg Routine. Sorry. Sich zu entschuldigen, dass fällt dem Facebook-Gründer nicht schwer. Gelegenheit zu üben hatte er in diesem Jahr bereits mehrfach. Vor Journalist*innen, im Fernsehen, stundenlang vor dem US-Kongress. Nun also auch in Brüssel. Am Dienstagabend luden die Fraktionsspitzen des EU-Parlaments Zuckerberg vor, um ihn zur Datenaffäre um Cambridge Analytica zu befragen, zu seinen Vorstellungen zum Schutz privater Informationen im Internet. Live im Netz wurde die Anhörung übertragen. Die Welt schaute zu, als Zuckerberg sich erneut entschuldigte.
Parlamentspräsident Antonio Tajani kommt dem 34-jährigen Konzernchef gleich zur Eröffnung mit dem Thema Moral. Europas grundlegende Werte werden über die sozialen Medien gefährdet, sagt er. Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Diskriminierung würden ungehindert verbreitet. Die Angst vor der Manipulation der Europawahlen im kommenden Jahr sei groß. Bestimmte politische Kräfte könnten Daten missbräuchlich nutzen. Zuckerberg müsse handeln.
Dieser nippt während der Rede Tajanis am Konferenzwasser. Die Augen sind gerötet, das Gesicht regungslos, wie das eines Teenagers, der nicht so recht weiß, was die Schelte des ehrwürdigen Präsidenten eigentlich soll.
Nach Tajani darf Zuckerberg sprechen. Sein Auftritt im EU-Parlament ist wahrlich kein Heimspiel. Während er in den USA mit der Naivität und Unwissenheit der Kongressvertreter in Sachen Internet rechnen konnte, sind die EU-Abgeordneten wohl besser gewappnet. Schließlich ist in Brüssel die Datenschutzgrundverordnung – kurz DSGVO – geboren. Ein Regelwerk, das die digitalen Daten der Verbraucher*innen stärker schützen wird als je zuvor. Ab dem 25. Mai gilt das Bürokratiemonster, das sperrig klingt und die Datenhändler doch in die Schranken weist. Selbst Zuckerberg hat die DSGVO in höchsten Tönen gelobt und betont, dass er bis Ende dieser Woche alle Vorgaben einhalten wird. Wohl nicht ganz uneigennützig. Schließlich müssen Datensünder mit empfindlichen Bußgeldern rechnen.
Zuckerberg will mehr Macht
Nach knapp acht Minuten fällt dann auch das erste „Sorry“. „Wir haben unsere Verantwortung nicht umfassend gesehen“, sagt Zuckerberg. „Das war ein Fehler. Es tut mir leid.“ Damit meint er vor allem den Fall Cambridge Analytica. Im März war bekanntgeworden, dass sich die britische Firma Zugang zu Daten von Millionen Facebook-Nutzer*innen verschafft hatte. Offenbar wurden mit Hilfe der Daten Wähler*innen im US-Präsidentschaftswahlkampf beeinflusst. Auch in der Brexit-Entscheidung soll das Geschäftsmodell von Cambridge Analytica eine Rolle gespielt haben. 87 Millionen Menschen betrifft die Datenaffäre weltweit, in Europa sind es mindestens rund 3 Millionen.
Wie groß die Macht Facebooks ist, daraus macht Zuckerberg kein Geheimnis. Und auch nicht daraus, dass er noch mehr davon möchte. Er nennt das seine „soziale Vision“ von einer Welt, die Facebook zusammenbringt.
Nun sind die Abgeordneten dran mit ihren Fragen. Und sie sind bestens vorbereitet, die meisten Digitalexperten. Sie kritisieren Schattenprofile, politische Werbung auf Facebook, die Marktmacht des Konzerns, die Flucht in Steueroasen, das Geschäftsmodell, das auf dem Sammeln von Daten und deren Auswertung fußt. „Sagen Sie uns die Wahrheit!“, sagt der liberale EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt. „Am Ende müssen Sie sich die Frage stellen, wie man sich an Sie erinnern soll. Wollen Sie in einem Atemzug mit Steve Jobs oder Bill Gates genannt werden, die Technologien erfunden haben, die unser Leben veränderten oder als einen, der ein digitales Monster schuf, das unsere Gesellschaft zerstört?“
Darauf antwortet Zuckerberg nicht. Stattdessen arbeitet er den Maßnahmenkatalog ab, den Facebook in den vergangenen Wochen aufgelegt hatte. Rund 200 Apps wurden gelöscht, Tausende Mitarbeiter eingestellt, die Datenschutzbestimmungen verbessert, angepasst, die Nutzer*innen informiert. Nach rund 70 Minuten ist die Anhörung vorbei. Mehr Zeit konnten und wollten die Abgeordneten Zuckerberg wohl nicht einräumen.
Zum Schluss lieber noch ein paar Selfies. Schließlich kommt der Herr über die Daten im Netz nicht alle Tage nach Brüssel. Aber was ist nun mit der DSGVO? Was ist mit den privaten Daten derjenigen, die zwar Facebook nicht nutzen, aber deren digitale Spuren dennoch im Visier der IT-Giganten stehen? Und überhaupt, ändert sich jetzt irgendetwas am Geschäftsmodell Facebook?
Die Abgeordneten haben die richtigen Fragen gestellt. Antworten bekamen sie in Brüssel nur wenige. Zuckerberg will nun schriftlich reagieren. Das hat er versprochen. Ob der Antwortkatalog Guy Verhofstadt, die Angst „vor der schönen neuen Welt“ – wie er sie nennt – nehmen wird? Hoffnung schöpft zumindest EU-Kommissarin Vera Jourová – eine scharfe Kritikerin Facebooks. Für sie war der Auftritt Zuckerbergs ein erster Schritt, um wieder Vertrauen zu schaffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen