piwik no script img

Zu viel Ich, zu wenig Wir

Oskar Lafontaines Buch zeigt, dass die SPD-Führung aus dünnhäutigen Egomanen besteht, die oft und gern beleidigt sind. Doch man versteht auch, was uns im postideologischen Durcheinander zukünftig fehlen wird: ein Politiker wie Lafontaine  ■   Von Stefan Reinecke

Ohne klare Alternative, wie Lafontaine sie vertrat, verkümmert Politik zur bloßen Verwaltung

Alles vorbei? Haben alle wichtigen Sozialdemokraten lange genug beteuert, dass sie nichts zu Lafontaine sagen werden? Sind alle in Frage kommenden Freundschaften mit gebührendem Pathos gekündigt worden? Gut, dann kann man sich dem zuwenden, worum es geht: dem Buch.

„Das Herz schlägt links“ ist eine politische Rechtfertigungsschrift. Im Brennpunkt steht die Zeit vom Wahlsieg bis zu Lafontaines Rücktritt. Doch der Rahmen ist weiter gesteckt: Er reicht von der Beziehung zu Willy Brandt über das Attentat 1990 zurück in die 80er Jahre, von Reflexionen, wie sich die Politik gegen die Macht ausufernder Finanzmärkte behaupten kann, bis zur Einwänden gegen militärische Einsätze ohne UN-Mandat. Die so genannten indiskreten Details (das nächtliche Telefonat von Doris Köpf und Christa Müller etc.), die im SPD-Umfeld für unschöne Krawallstimmung sorgten, lesen sich im Original eher nebensächlich. Für die schrillen Töne der letzten Zeit fehlt eigentlich die skandalöse Substanz.

Dafür legt dieses Buch den Blick frei, warum es kommen musste, wie es kam. Das Duo Schröder/Lafontaine war keine, wie konservative Propagandisten meinen, Mogelpackung, mit der die SPD tricky mit unvereinbaren Positionen links und rechts im letzten September Wähler anlockte. Dass es scheiterte, war nicht unvermeidlich, es war das Ergebnis einer Fehleinschätzung Lafontaines. Nach dem Wahlsieg wurde er nicht Fraktionsvorsitzender, er wollte unbedingt ins Kabinett. Gerade die Nähe zu Schröder erschien ihm als Möglichkeit, den Dissens auszuhandeln. Mag sein, dass die Konstellation: Lafontaine als Partei- und Fraktionsvorsitzender gegen den Sparkanzler Schröder auch nicht gut gegangen wäre – aber der Glaube, dass der Konflikt besser im Nahkampf als auf Distanz ausgefochten werden könnte, war naiv. Was danach kam, waren Dominosteine, die nacheinander umfielen. Schröder ernannte Hombach zum Kanzleramtschef, entwarf ohne Lafontaine die Regierungserklärung etc. – allesamt Vertrauensbrüche, auf die es, aus Lafontaines Blickwinkel, nur eine Antwort gab: Rücktritt. Eine Affekthandlung, ein politischer Suizid war dies nicht – eher die Konsequenz aus der Einsicht, dass die Taktik „Nähe zu Schröder“ Illusion gewesen war.

Gab es also wirklich keine Alternative? Und wenn: Warum nicht? Dieses Buch ist auch ein Dokument des „Enkelsyndroms“, an dem die SPD seit fast 15 Jahren laboriert: an einer dauerhaft zerstrittenen Führung, die oft und gern beleidigt ist und zum Egomanischen neigt. Auch Lafontaine schildert ohne den leisesten Anflug von Selbstironie seinen Politalltag als Kette von Verletzungen. Mal ist es eine unfreundliche Bemerkung in der Presse, meist aber Schröder oder Scharping, die zu „einer offenen Aussprache nicht bereit“ sind oder „zu wenig das Gespräch suchen“.

Dieses „Enkelsyndrom“ – zu viel Ich, zu wenig Wir – ist freilich mehr als ein Reihe persönlicher Defekte; es ist Ausdruck einer Krise. Die Enkel sind die erste sozialdemokratische Generation, in der das innere Parteisoldatentum nicht mehr das beherrschende Bewusstsein ist. Brandt, Wehner und Schmidt redeten, wie die Legende sagt, manchmal wochenlang kein Wort miteinander. Trotzdem verband sie, über alle persönlichen und politischen Differenzen hinweg, ein Rest traditionellen sozialdemokratischen Bewusstseins, in dem die Partei Teil eines historischen Projektes war, ein Agent der Geschichte und des Fortschritts.

Diese Idee führte zu einer ideologischen Aufladung aller innerparteilichen Kämpfe, die stets mit mehr Herzblut ausgefochten wurden als bei den Bürgerlichen. Bei den Rechten ging es um die Macht, bei der Linken immer auch um Moral und Menschheitsglück. In Wehners rigider Parteidisziplin überlebte, als Schrumpfform, das utopische Denken der Arbeiterbewegung.

Die Fortschrittsverheißungen der Arbeiterbewegung sind längst Folklore. Aber die tristen Enkelkämpfe der 90er Jahre werden auf dieser Folie verständlicher. Denn die Kriege in der SPD werden noch immer mit jener traditionellen Härte und ideologischen Überhöhung ausgetragen – doch das Regulativ, die Parteidisziplin, verblasst in einer individualistischen, hedonistischen Gesellschaft zusehends. Die Partei als Über-Ich ist verschwunden – und damit auch der Kitt, der in den 70-ern Wehner und Brandt noch verband. Übrig geblieben sind dünnhäutige Groß-Egos wie Schröder und Lafontaine, für die es am Ende nur noch den Showdown gab. Ob Schröder, der die Partei für ein Instrument persönlicher Karriereplanung hält, die Antwort auf dieses verzwickte Problem ist, darf man bezweifeln. Ebenso, dass das SPD-Mannschaftsspiel ohne guten Linksaußen nachhaltig besser wird.

Und sonst? Es ist ein schwergängiges Buch, rappeltrocken geschrieben, gerade wenn es um Persönliches geht. Als ihn Ehefrau Christa drängt, in Mannheim den Parteivorsitz zu übernehmen, heißt es: „Ich hatte entgegnet, dass die Übernahme des Parteivorsitzes unser Familienleben erschweren würde.“ Politiker müssen keine literarischen Talente sein, aber hier herrscht ein wundersamer Ton des Uneigentlichen, in dem „die neue Aufgabe trotz mancher Mühen auch viel Freude bereitet“. Lafontaine sagt in diesem Buch oft Ich – aber dieses Ich hat keinen anderen Sound als das Politiker-„Man“. So wächst der Eindruck, dass hier jemand schreibt, der keine (öffentliche) Sprache für ein Leben findet, das aus Hintergrundgesprächen, Intrigen und Leitartikeln zu bestehen scheint. So verwandelt sich noch jede persönliche Gefühlsäußerung in Beschlussvorlagendeutsch. Das ist nicht Lafontaines Fehler, es ist die Deformation professionelle des Machtpols.

Und die Politik? Lafontaine vertritt eine realpolitische, linke Alternative: eher pazifistisch gesonnen, vor allem aber darauf bedacht, den politischen Raum vor feindlichen Übernahmeversuchen der Wirtschaft zu schützen. Er ist auch kein verbohrter keynesianischer Ideologe, wie die Neoliberalen glauben machen wollen: Die Erkenntnis, dass 30 Milliarden gespart werden müssen, stammt von ihm. Auch seine SPD-Wirtschaftspolitik ist ein policy mix: „eine Doppelstrategie aus Angebots- und Nachfragepolitik“. Nur die Dauerklage, dass Deutschland, „die exportstärkste Nation der Welt“ (Lafontaine), nicht mehr konkurrenzfähig sei und die Politik deshalb parieren muss, wenn die Wirtschaft mal hustet – dagegen polemisiert dieses Buch zu Recht. In seinen besten Passagen ist es eine Streitschrift gegen das Modernisierungsgefasel, hinter dem stets eine Kapitulationsforderung an die Politik steht. Und eine Empfehlung an die SPD, doch bitte nicht zu versuchen, mit neoliberalen Moralpredigten den „Sozialdemokratismus der Massen“ (Lafontaine) zu bekämpfen. Abgesehen davon, dass dies nicht erstrebenswert wäre, ist es für eine SPD-Regierung Selbstzerstörung mit Ansagen. Was Kohl misslang, wird Schröder nicht glücken.

Dieser Rücktritt war kein politischer Selbstmord, sondern die Konsequenz eines taktischen Fehlers

Kluge Konservative wie Konrad Adam haben längst verstanden, dass Lafontaines Abgang ein Verlust für die deutsche Politik ist. Denn Lafontaine stand für eine klare, originär sozialdemokratische Position. Das ist selten geworden in Zeiten, in denen SPD- Bundeskanzler wie Neoliberale reden, in denen sich Konservative aufführen wie Liberale und ganz normale Christdemokraten die soziale Gerechtigkeit preisen, als wollten sie Juso-Vorsitzende werden. In diesem postideologischen Durcheinander droht die Unterscheidbarkeit auf der Strecke zu bleiben. Damit aber ist auch die Politik fundamental gefährdet: Denn Politik ist die Kunst, Unterscheidungen zu treffen. Ohne erkennbare Alternative, wie sie Lafontaine verkörpert, verkümmert sie zur Exekution von Sachfragen. Der Rest ist Imagepflege.

„Modernität ist zur schlichten Anpassung an wirtschaftliche Zwänge verkommen. Die Frage, welche Gesellschaft wir wollen, ist schon unmodern und wird gar nicht mehr gestellt“, schreibt Lafontaine. Elegant formuliert ist das nicht. Neu auch nicht. Aber richtig. Wer wird es zukünftig sagen?

Oskar Lafontaine, „Das Herz schlägt links“. Econ Verlag, München 1999, 316 S., 39,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen