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Bewegungsmelder im KleingartenDen Eichelhäher erwischen die Sensoren selten

Dem digitalen Überwachungsapparat im brandenburgischen Kleingarten entgeht wenig – außer einem kleinen Vogel.

Frecher Vogel: der Eichelhäher Foto: Annette Meyer/Pixabay

D er moderne Garten steckt voller Sensorien und Schaltern. Luft- und Bodenfeuchte unterliegen permanenter Kontrolle. Wenn nötig, wird gewässert oder summt sich ein Fenster im Gewächshaus elektrisch auf Kipp. Eine Bodenwertanalyse mit automatisierter Düngerabgabe wäre sicher auch was Feines. Aber ganz ehrlich, in der brandenburgischen Sandbüchse muss ohnehin jedes Beet jahrein, jahraus kniehoch mit Pferdescheiße zugekleistert werden, damit da auch nur ein paar Radieschen von oben zu beschauen sind.

Künstlicher Dünger hilft da eventuell noch ein bisschen, künstliche Intelligenz aber ganz bestimmt nicht. Internet aber hat der Garten trotzdem, mit Highspeed­bildübertragung sogar. Damit kann man vermummten Lumpen dabei zuschauen, wie sie Spaten stehlen. Ganz genau, ihr verzärtelten Berlinskis, in Brandenburg stibitzen sie Schippen, die Schlawiner. Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.

Die Bewegungsmelder registrieren auch den Fuchs, wie er gelangweilt über den Weg trottet. Manchmal erschrickt er, wenn das Licht an der Laube angeht. Manchmal nicht. Auch die Krähen werden gefilmt, wie sie an den Kameras picken. Den Eichelhäher aber erwischen die Sensoren selten. Der Eichelhäher ist zu scheu oder zu schnell. Manchmal, wenn ich an der Laube sitze und zufrieden mit der Welt und mir über das Latifundium schaue, den Meisen und Eichhörnchen freundlich zunickend, da heizt der Häher durch den Luftraum. Eingeladen hat ihn niemand. Die Amseln kehren augenblicklich ihren Patriotismus he­raus und brüllen den gut doppelt so großen Eindringling voller Entrüstung an. Ich tue es ihnen gleich.

Denn der Eichelhäher ist ein Schuft. Er hat ganz offensichtlich keinen Bezug zu seinem Körpergewicht. Gerne setzt er sich auf die zartesten Zweige der Obstbäume, die unter ihm zersplittern wie von einem Kirchturm hinabgeworfene Oblaten beim Aufprall. Außerdem scheint der gefiederte Radaubruder der Auffassung zu sein, dass seine Flughöhe auf gar keinen Fall von topografische Gegebenheiten abhängt. Möge doch der Boden vor ihm weichen. Mehr als einmal konnte ich seinen Landeanflug durch das Kartoffelbeet beobachten. Wie die „Enterprise-D“ bei ihrer Notlandung auf ­Veridian III pflügt der Eichelhäher einfach alles auf seinem Weg um. Umgeknicktes und vertrocknetes Kraut der Kartoffeln bezeugt in jeder Saison die Rücksichtslosigkeit des Tiers.

Nun ist es nicht an mir, über einen Eichelhäher zu richten. Er ist ein Vogel. Er wird nicht planvoll mir zum Ärgernis herummarodieren. So dachte ich zumindest. Bis er vor Kurzem um die Laube geschossen kam, geradewegs auf mich zu. Nur kurz vor meiner Stirn bog er zur Seite, sodass der Wind der Flügel mein Gesicht noch streifte. „Na, hör mal!“, rief ich empört. „Ich bin doch keine Kartoffel!“ Da blieb der Eichelhäher, einem Kolibri gleich die Flügel schlagend, in der Luft stehen, grinste frech und sagte: „Doch.“

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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