Zu Besuch in einer Lebkuchenfabrik: Herz an Herz
Nach der Wiesn wurden auch die Weihnachtsmärkte abgesagt. Was tun mit all den Herzln, die im Winter hart sind und im Sommer weich?
In der Sternstraße – Industriegebiet, trotz des schönen Namens – steht ein strahlend blau gestrichener Funktionsbau. Wäre da nicht der Geruch von Nelken, Kardamom und Zimt, man würde sich kaum heranlocken lassen. Einige Schritte näher also, und durchs Fenster sieht man: Herzen. Auch halb ausgemalte Schneemänner, ein paar Elche, vor allem aber Herzen. Lebkuchenherzen mit buntem Rand und einem schwungvollen Spruch: Ich liebe dich. Prinzessin. Frohe Weihnachten.
Menschen in weißen Kitteln verpacken sie, auf ihrem Rücken steht „Zuckersucht“. So heißt die Lebkuchenbäckerei, die Firma von Bernd Dostler. Der Funktionsbau ist innen mit dunklem Holz vertäfelt. Vor dem Büro von Dostler hängen Hirschgeweihe und, klar, auch ein Herz: „Zuckersucht GmbH, bitte hier läuten, gerne hören wir von Ihnen!“
„Waren Sie schon mal in einer Herzl-Bäckerei?“, fragt Bernd Dostler, und wenn man selbst ein Herz in der Brust schlagen hat, will man sich von da an nur noch zurücklehnen, zuhören, wie er über Herzl spricht und sich an seinem Bairisch wärmen.
Ein frisches Herz kann man riechen
„Im Winter sind Herzen meistens härter, und wenn’s dann wieder Sommer wird, werden sie wieder weich“, sagt Dostler zum Beispiel. „Man kann bei einem Herz nicht danach gehen, wie es sich anfühlt. Nicht die Konsistenz macht die Frische aus. Es ist der Geruch. Es muss aromatisch riechen und gut nach Gewürz. Dann hat man auf jeden Fall ein frisches Herz vor sich.“
Wahnsinn. Ist das nicht schön? Reporterherz tamtam. Es drängt sich einfach auf, Dostlers Worte zu übertragen, von den Lebkuchen, über die er spricht, ins Allgemeine. Ob ein Herz frisch ist, ja, darüber sollte man wirklich mal nachdenken.
Eine Pfarrerin würde dieses Bild vom frischen Herzen in ihre Weihnachtspredigt aufnehmen und die ganze Predigt lang darauf rumreiten, alle Analogien ausbreiten, bedeutsame Pausen einlegen. Liebe Gemeinde, wer kann von sich behaupten, in diesen Zeiten ein frisches Herz zu haben? Und weil für viele die Weihnachtspredigt dieses Jahr ausfällt, bekommen sie hier auf der Genussseite der taz am Wochenende das ein oder andere tiefschürfende Gleichnis.
Schon der Vater war Konditor
Die Lehre zum Konditor hat Bernd Dostler bei seinem Vater in Weiden in der Oberpfalz gemacht, dann hat der ihn nach München geschickt, damit er da noch mehr lernt. Dem Sohn aber war klar: „Vater, wennsd mich nach München schickst, da komm ich nimmer heim.“ Im Urlaub in Amerika entdeckte er ein Gerät, mit dem man Fotos aus Marzipan auf Torten drucken konnte, brachte es nach Deutschland und startete seine Firma „Zuckersucht“. Zwanzig Jahre ist das her.
Heute beliefert Dostler die Münchner Wiesn mit Herzln, die Weihnachtsmärkte mit Lebkuchen und Firmen mit Hexenhäusern zum Selbstzusammenbauen. Die gehen dann weiter an Kund*innen und Mitarbeiter*innen. Dostler sagt, da schreibt man dann: „Liebe Mitarbeiter, vielen Dank für das Jahr, wir haben viel gelernt, und jetzt basteln wir weiter an unserer Zukunft wie an diesem Haus.“ An der Zukunft basteln wie an einem Haus – wenn es doch so einfach wäre.
In Dostlers Büro hängen neben Geweihen auch oval gerahmte Schwarzweißfotos. „Die Ahnen“, sagt er. Er stammt aus einer langen Bäcker- und Landwirttradition. „Des is die Oma, die war Staatssenatorin für Landwirtschaft und Forsten, des war der Josef Dostler, der hat den Strom in die Hochpfalz gebracht, und der Anton Dostler war der Gewinner vom Oktoberfest 1860 – der erste Preis als Rinderzüchter.“
„Krisnwiesn 2020“ stand auf den Herzen
In diesem Jahr saß Bernd Dostler hier und hat die Ahnen um Rat gefragt. 30 Prozent der Herzl waren schon gebacken, als die Wiesn im April abgesagt wurde. Dostler verschenkte einen großen Teil an Münchner Altenheime und ließ draufschreiben: „Krisnwiesn 2020“. Millionen Herzen backen Dostlers Mitarbeiter*innen jedes Jahr. 20.000 an einem guten Tag. Dieses Jahr gab es viele schlechte.
Nach einem Jahr voller Abstand und Kontaktbeschränkungen widmen wir uns in unserer Weihnachtsausgabe dem Gefühl, ohne das 2020 wohl erst recht nicht auszuhalten gewesen wäre: der Liebe. Muss man sich wirklich selbst lieben, um geliebt werden zu können? Hilft der Kauf eines Flügels bei der Auseinandersetzung mit dem Kind, das man einmal war? Und was passiert eigentlich mit all den Lebkuchenherzen, die nicht auf Weihnachtsmärkten verkauft werden konnten? Ab Donnerstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Das Lebkuchenherz besteht aus Mehl (kommt aus Rosenheim), Zuckersirup (kommt aus Regensburg) und Gewürzen (kommen aus Asien). Wichtig ist die Teigführung, erklärt Dostler, er hat sich inzwischen einen weißen Kittel angezogen und geht durch die Herzl-Bäckerei. Vier Wochen lang muss der Teig ruhen, nur so wird der Lebkuchen schön fluffig. Die Industrie erreiche diesen Effekt mit Zusatzstoffen (kommt bei Dostler nicht so gut an).
Noch wichtiger als das Rezept und die Teigführung aber ist der Spruch. So wird das Geschenk zur Geste. „Du bist meine Prinzessin“ laufe gerade besonders gut, mit pinkfarbener Verzierung. „I mog di“ sei der absolute Renner auf der Wiesn. Vor ein paar Jahren kam „Teufelskerl“ gut an, dann plötzlich nicht mehr. Auch böse Sprüche probierten sie aus, „Du Zicke“.
Das als größtes Herz der Welt beworbene Riesending mit 55 Zentimeter Durchmesser wollte mit dem schnöden „Ich liebe dich“ kaum einer haben, aber mit „Das größte Herz für die größte Liebe der Welt“ – „ist gelaufen wie verrückt“. Da bleibe den Bubn, wenn sie mit ihrem Spatzl vor dem Standl stehen, nichts anderes übrig, als die 65 Euro dafür auszugeben.
Das Herzlbemalen erfordert jahrelange Übung
In einer dunklen Ecke der Bäckerei ruht der Teig in großen Rechtecken. Maschinen stanzen ihn in Herzen. Dann wird er gebacken, verziert, einen Tag getrocknet, dann verpackt. Es dauere Jahre, bis die Herzlmaler*innen jeden Buchstaben und seinen Übergang zum nächsten perfekt beherrschten, sagt Dostler – und manche lernten es nie. „Die machen dann Blümchen und Verzierungen“. Oder kontrollieren, ob sich die Schönschreiber*innen auch nicht verschrieben haben. „Wir gelten als schönstes Herz draußen, die Leute sagen, des ist der BMW von der Wiesn.“
Dostler hat für Freunde schon Einladungen zum Date auf Herzen geschrieben, „die rufen dann an und man muss des dreimal umschreiben“. Einer hat sein Date dann sogar geheiratet. Ein anderer Bekannter darf gerade nicht zu seiner krebskranken Tochter ins Krankenhaus. Er schickt ihr ein Herz: „Von Papa für meine Liebste“. „Was die Leute da machen, ist wirklich Herzausschütten“, sagt Bernd Dostler. „Und genauso wichtig musst du des dann nehmen. Ein einziger Schreibfehler zerstört die ganze Geste. Da musst aufpassen!“
Kinder essen ihre Herzen, bei Erwachsenen hängen sie meistens bis zum nächsten Umzug. „Oder bis einer von beiden auszieht.“ Und was war das schönste Herz, das er mal verschenkt hat? Das ging an seine Frau zum Hochzeitstag. Die beiden standen im Schottenhamel-Zelt auf der Wiesn, die Kappelle spielte, das Publikum hielt Feuerzeuge in die Luft. Er überreichte ihr das Herzl, auf dem stand: „Irina, the queen married me but I survived“ – „des hab ich draufgschrieben“.
Es hänge noch heute, das Herzl. Und, liebe Gemeinde, da macht es auch nichts, wenn nicht alle die Botschaft darauf verstehen.
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