Zoologe über Tiere im Krieg: „An das Geballer gewöhnen sie sich“

Gerhard Haszprunar ist Professor für Systematische Zoologie. Ihn beschäftigt unter anderem, wie sich Krieg auf die Artenvielfalt auswirkt.

Ein Soldat und ein Delfin schauen sich an.

Delphine unterstützen das US-Militär bei der Suche nach Minen Foto: Jennifer A. Villalovos/Newscom/picture allance

taz: Herr Haszprunar, als Professor für Systematische Zoologie beschäftigen Sie sich mit Artenvielfalt und wie sie entstanden ist. Warum interessieren Sie sich so sehr für die Systematik der Tierwelt?

Gerhard Haszprunar: Um die Tierwelt zu verstehen, muss man auch ihre Geschichte kennen – also die der Evolution. Mein Interesse hat auch damit zu tun, dass mein Vater als Forstwirt tätig war. Auch da ging es um die Bestandsaufnahme von Bäumen. Mit ihm war ich viel im Wald unterwegs. Und dann hab ich mit zwölf Jahren mein erstes Aquarium bekommen.

Warum kennen Sie sich dann auch mit Tieren im Krieg aus?

Ich leite ja seit über 25 Jahren die zoologische Staatssammlung und da bekomme ich im Laufe der Zeit alle möglichen Fragen gestellt, die irgendwas mit Tieren zu tun haben: „Ich hab da was Komisches gesehen in meinem Garten, muss ich mich fürchten?“ In den letzten Jahren habe ich mich dann auch mit der Rolle von Tieren im Krieg beschäftigt.

Auf der ganzen Welt leiden Menschen unter kriegerischen Auseinandersetzungen, sind Flucht, Vertreibung und Tod ausgesetzt – warum interessieren Sie sich ausgerechnet für die Tiere?

Uns zu allen Zeiten, also auch in Kriegszeiten für die Tiere zu interessieren, ist eine unserer Hauptaufgaben als vernunftbegabte Wesen. Je mehr wir über Tiere wissen – und wir wissen mittlerweile eine ganze Menge –, desto größer wird diese Verantwortung.

Und was wissen wir über das Leid der Tiere?

Man muss hier unterscheiden zwischen Tieren, die instinktgesteuert sind, wie die allermeisten Insekten, und Wirbel- oder Säugetieren, die bei einer Bedrohung tatsächlich Furcht empfinden und deren Empfinden unserem sehr ähnlich ist. Was für einen Affen oder Hund gilt, gilt eben nicht für den Regenwurm. Was den Menschen von Tieren jeglicher Art unterscheidet, ist allerdings, dass wir uns auch vor Geschehnissen in der Zukunft fürchten.

Wie verändert sich denn das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in Kriegszeiten?

In Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen steht das eigene Leben im Vordergrund. Wenn ich oder meine Gruppe Gefahr laufen, zu verhungern, werde ich das Tier schlachten. Auch wenn ich es lieb habe.

Professor für Systematische Zoologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Direktor der Zoologischen Staatssammlung München. Er hat sogar zwei Tierarten entdeckt: eine kleine Nacktschnecke und eine Käferschnecke. Sein Lieblingstier ist der Sibirische Tiger (Panthera tigris altaica).

Ist das tatsächlich ein verbreitetes Phänomen?

Ja, denn in Kriegszeiten funktioniert oft die Lebensmittelproduktion nicht mehr richtig. Dann gehen die Menschen in den Wald und jagen und essen alles, was sich auftreiben lässt. Das gilt besonders für größere Säugetiere, Vögel und Fische. Insektenarten profitieren hingegen, weil durch die brachliegenden Felder wenige Pestizide eingesetzt werden.

Wissen Sie dann auch, wie es den Tieren während der Weltkriege ging?

Während der eigentlichen Schlachten waren die Auswirkungen gar nicht so stark. Durch Schusswaffen haben die Tiere erstaunlich wenig Schaden erlitten. Und an das Geballer gewöhnen sie sich schnell. Wenn nicht gezielt auf sie geschossen wird, bleiben die Verluste gering. Schlimmer war es nach den eigentlichen Kampfhandlungen. Durch Hungersnöte gab es viele Wilderer, die in die Wälder gingen. In späteren Kriegen kam noch der Einsatz von chemischen Kampfstoffen dazu.

Kampfmittel wie „Agent Orange“ haben auch den Tieren geschadet?

Dieses Entlaubungsmittel hat vor allem die Umwelt in Vietnam großflächig zerstört, bis heute sind die Auswirkungen spürbar. Lebensraumvernichtung ist für Insekten genauso verheerend wie für Menschen. Aber im Gegensatz zu Großtieren können Insekten ihre Verluste deutlich schneller ausgleichen, meist innerhalb weniger Jahre.

For­sche­r*in­nen beschreiben in einer Studie, dass die Artenvielfalt von Tieren durch die jahrelangen Bürgerkriege im Kongo zurückgeht. Lässt sich das so pauschal sagen?

Nein. Wie Sie schon sagen, behandelt die Studie den Kongo, der sich als tropischer Regenwald nicht auf andere Regionen, schon gar nicht Europa, übertragen lässt. Außerdem wurden in der Arbeit nur größere Säugetiere wie Elefanten oder Löwen berücksichtigt, aber keine Kleintiere oder Mikroorganismen. Die Forscher haben lediglich eine Korrelation festgestellt, die nicht zwangsweise eine Ursache sein muss. So könnte für den Rückgang der Artenvielfalt auch eine Bande von Wilderern verantwortlich sein, die dort ihr Unwesen getrieben hat.

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier ist schon lange Gegenstand der Forschung. Die Bezeichnung Anthropomorph kommt aus dem altgriechischen und bedeutet „menschenähnliche Gestalt“. Der Fotoband „Die Anthropomorpha: Tiere im Krieg“ (Matthes & Seitz, 2017) bildet zahlreiche Tiere ab, die Menschen im Krieg einsetzten: Schweine, die mit Öl eingeschmiert und angezündet wurden, um mit dem Quieken Elefanten in die Flucht zu schlagen. Dazu Schnecken, Glühwürmchen, Gänse und Kanarienvögel. Im Fotoband meint die Bezeichnung „Anthropomorpha“ jene Tiere, die durch militärische Kleidung und das Teilnehmen am Kriegsgeschehen als gleichberechtigt wahrgenommen wurden.

Auf Truppenübungsplätzen üben Menschen den Krieg. Gerade dort soll die Artenvielfalt besonders groß sein, sagen Studien. Warum ist das so?

Weil dort die Landwirtschaft ausgesperrt ist. Wir sehen das gleiche an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Das Entscheidende ist nicht das Geballer, sondern dass es keine Landwirtschaft gibt. Dadurch geht es den Tieren gut, vor allem den Insekten.

Ein Bildband aus dem Jahr 2017 bildete alle möglichen Tiere ab, die als Truppenteile in Kriegen eingesetzt wurden.

Bereits in der Antike wurden Kriegselefanten eingesetzt. Brieftauben waren ebenfalls über Jahrhunderte eine beliebte Methode, um Nachrichten zu übermitteln. Kleine Zettel wurden zusammengerollt und am Bein befestigt. So konnten im Ersten Weltkrieg Nachrichten sehr schnell übermittelt werden, wenn Telegrafenmasten weggesprengt wurden oder das Feldtelefon nicht mehr funktionierte.

Warum hat man die Brieftauben nicht abgeschossen?

Weil sie sehr klein und schwer zu treffen sind. Daher hat man eher Wanderfalken benutzt, um die Tauben vom Himmel zu holen.

Können Brieftauben heutzutage eine Geheimwaffe sein, wenn die digitale Kommunikation mal ausfällt?

Es ist generell gut, analoge Alternativen in petto zu haben, wenn die Technik versagt. Noch besser als Brieftauben wäre das klassische Morsen wie im Science-Fiction-Film „Independence Day“, in dem der Satellitenempfang durch die Aliens blockiert wird.

Vögel helfen beim Aufspüren von Bomben, wie hier in Afghanistan Foto: Andrew Quilty/vu/laif

In besagtem Bildband waren auch Delfine abgebildet: Sie können angeblich Bomben aufspüren. Was prädestiniert Delfine dafür?

Ihr Sonarvermögen, also ihr Unterwasserradar mittels Schallwellen, und ihre enorme Lernfähigkeit. Minenspürhunde werden von ihren Ausbildern auf charakteristische Geruchsstoffe konditioniert. Delfine hingegen erkennen Seeminen einfach an ihrer Form, und das auch im trüben Wasser.

Und was macht der Delfin, wenn er eine Mine entdeckt hat?

An seinen Körper sind Kameras oder kleine Bojen geklemmt, die er dann steigen lässt. Das Räumkommando weiß dann, wo sich die Mine befindet, um sie zu entschärfen.

Manchen For­sche­r*in­nen in den USA reicht das alles nicht. Sie überlegen, wie man Haie mittels Elektroden zu Cyborg-Haien machen kann, um sie zu kontrollieren. Ist das reine Science-Fiction?

Nein, das ist die Realität. Haie sind zwar strohdumm, haben aber einen Spezialsinn für elektromagnetische Wellen und damit auch für Metall. Deshalb finden sie Metall besonders lecker und erkennen es über große Distanzen. Mit Elektroden im Gehirn könnte man den Hai auf die Suche nach Metall im Meer programmieren und so Seeminen aufspüren. Einfacher ist es dagegen, dressierte Falken mit Kameras auszustatten, um Luftbilder zu schießen.

Otto Dix bildet in seinen Werken zum Ersten Weltkrieg tote Pferde ab, auch in anderen Medien zirkulieren Bilder von verwundeten oder toten Tieren in Krisenregionen. Es scheint fast, als ob sie bei vielen mehr Mitleid hervorrufen als das Leid der Menschen.

Das ist für mich immer wieder erstaunlich. Ich habe das Gefühl, das passiert häufig bei niedlichen Tieren mit hohem Kuschelfaktor. Ich finde nicht, dass Tierleid höher einzuschätzen ist als Menschenleid. Ich würde bedenkenlos ein Tier opfern, um einen Menschen zu retten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.