Zivile Opfer im Drohnenkrieg: „Wir fühlen uns alleingelassen“

Die Angehörigen der Opfer der US-Drohnenangriffe finden in Pakistan kein Gehör – trotz starker Zweifel an den Opferzahlen der US-Regierung.

Eine Drohne ist in Schwarz auf eine Mauer gemalt

Protest gegen zivile Drohnenopfer gibt es auch im Jemen: Graffiti in Sanaa, November 2014 Foto: reuters

BERLIN taz | „Die amerikanische Regierung hat meinen Bruder getötet. Ich weiß nicht, welche Personen im Einzelnen dafür verantwortlich sind, aber ich will, dass sie eine gerechte Strafe erhalten“, meint Mohammed Kasim.

Sein 26-jähriger Bruder Mohammed Asam wurde im Mai durch einen US-Drohnen-Angriff in der pakistanischen Provinz Belutschistan getötet.

Asam war Taxifahrer. Als die Drohne auf seinen Wagen zielte, war Asam nicht allein. Der Angriff galt dem Fahrgast, Mullah Akhtar Mohammed Mansur, dem damaligen Führer der afghanischen Taliban. Die Drohne tötete auch ihn.

Später wurde bekannt, dass der Taliban-Chef einen gefälschten Reisepass hatte. Ob Asam von der wahren Identität seines Fahrgastes wusste, ist unklar. Seine Familie behauptet, er sei ahnungslos gewesen.

Opfer war Hauptversorger der Familie

„Mein Neffe war unschuldig und sehr arm. Er versorgte allein die ganze Familie. Wie viele andere Drohnenopfer hatte er keinerlei Verbindungen zu extremistischen Gruppierungen“, meint Asams Onkel Hadschi Khuda-i-Nasar.

Bereits im Mai erstattete Kasim Anzeige gegen die USA bei einer Polizeistelle im Distrikt Noshki. Darin beschrieb er Asams letzte Stunden vor seinem Tod sowie die Ansicht der Familie, dass er unschuldig gewesen sei.

Doch Kasim bekam keinerlei juristische oder politische Unterstützung. Die Medienberichte fokussierten sich auf den Taliban-Chef, Asam geriet in den Hintergrund.

„Niemand interessiert sich für meinen toten Bruder. Kein einziger Politiker sprach sein Beileid aus. Wir fühlen uns total alleingelassen“, sagt Kasim, der aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammt.

Auch Oppositionspolitiker unternehmen nichts

Seine Familie kann sich keinen Anwalt leisten. Auch Opposi­tions­politiker, die früher Drohnenangriffe kritisierten, unternahmen jetzt nichts.

Im Juli veröffentlichte das Weiße Haus erstmals Zahlenangaben zu zivilen Opfern des Drohnenkriegs während der Präsidentschaft Barack Obamas: Von 2009 bis 2015 hätten 473 Drohnenangriffe in Pakistan, Libyen, Somalia und dem Jemen stattgefunden. Dabei wurden angeblich 2.372 bis 2.581 „terroristische Kämpfer“ sowie 64 bis 116 Zivilisten getötet.

Beobachter bezweifeln diese Zählung. Selbst die konservativsten Schätzungen über zivile Drohnenopfer übertreffen die Angaben des Weißen Hauses weit. Laut The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), einer in London ansässigen Journalistengruppe, wurden in dem Zeitraum in den besagten Staaten über 800 Zivilisten bei Drohnenangriffen der USA getötet.

Nimmt man die Zeit der Bush-Regierung hinzu, würde die Zahl ziviler Todesopfer bei über 1.000 liegen. Laut TBIJ waren in Pakistan mehr als 80 Prozent der identifizierten Drohnenopfer Zivilisten.

Offizielle Zahlen nicht überprüfbar

„Die Veröffentlichung der Daten ist ein willkommener Schritt zu mehr Transparenz. Doch haben wir weiterhin keine Informationen über einzelne Angriffe, speziell jene, die laut unserer Beobachtung eine hohe Zahl von Zivilisten getötet haben. Das macht es für uns unmöglich, unsere Zahlen mit denen des Weißen Hauses zu vergleichen“, meint Jack Serle vom TBIJ.

„Das Weiße Haus hat seine Angaben nicht einmal nach Jahr oder Land geordnet. So können wir weiterhin nicht einschätzen, inwiefern der Drohnenkrieg seit Obamas erstem Angriff am 23. Januar 2009, bei dem mindestens neun Zivilisten getötet wurden, fortgeführt wird.“

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