Zeugnisausgabe: „Damit kommst du nicht weit“
Letzter Schultag vor den Sommerferien. 376.000 Schülerinnen und Schüler haben Zeugnisse bekommen. Zur Belohnung gibt es für manche Eis.
„Gefühlt war dieses Schuljahr besser als das davor“, sagt Schulleiter Michael Dahms mit Blick auf Corona. „Wir sind mit den Maßnahmen besser klargekommen.“ 2021 sei auch deshalb schlimm gewesen, weil ein Kollege seiner Schule der Pandemie erlegen sei.
Nach der Zeugnisausgabe nichts wie weg: „Sie sind ein bisschen spät dran“, sagt eine Lehrerin, die vor der Carl-von-Ossietzky-Schule die letzten Eltern verabschiedet. Es ist kurz nach 11 Uhr, der Schulhof ist verwaist. Neben dem Eingang ein einsames Regal mit Fundsachen aus dem zu Ende gegangenen Schuljahr. Trinkflaschen, Jacken, Mützen, einzelne Sportschuhe. „Ich gebe Ihnen einen heißen Tipp“, sagt die Lehrerin. „Die sitzen jetzt alle in der Eisdiele ‚Delfin‘ am Südstern.“
Schon von Weitem ist zu hören, dass das Gartenlokal gut besucht ist. Lautes Stimmengewirr und Lachen dringen über den Zaun, davor achtlos hingeworfen Roller und Fahrräder. Auch aus der Reinhardswald-Grundschule sind Kinder mit ihren Eltern hier. Sechs Kids zählen ihre Notendurchschnitte auf. Schlechter als 1,3 ist in der Runde niemand.
Spagetti-Eis geht am besten
Die Bemerkung, das grenze ja an Strebertum, wird mit ausgelassenem Lachen quittiert. In rote Fleecedecken gemummelt, schaufeln die Kinder Unmengen von Eis und Schlagsahne in sich hinein. Am Nachmittag stehe noch ein Besuch im Naturkundenmuseum an, erzählt ein Mädchen. Die Mutter habe sich extra dafür freigenommen.
Spaghetti-Eis gehe am besten, erklärt Wirt Ljuta Muhamed. Der Mann, groß und stämmig, gibt sich als Jahrgang 1981 zu erkennen. Auf welche Schule er selbst gegangen sei? Heinrich-Heine-Schule Neukölln, er sei kein Musterschüler gewesen. Doch dann korrigiert sich Muhamed unvermittelt. In Wirklichkeit sei er auf der Rütlischule gewesen: „Ich will ehrlich sein.“ Erst habe er das nicht sagen wollen, weil die Rütlischule zu seiner Zeit so einen schlechten Ruf gehabt habe. „Jeder denkt, alle Schüler dort sind Versager.“
Er selbst sei aber das beste Beispiel dafür, dass das nicht stimme, sagt Muhamed. Er habe einen erweiterten Hauptschulabschluss gemacht und sei nun Inhaber von zwei Eisdielen und einem Restaurant und arbeite 10 bis 12 Stunden am Tag. Auch seinen eigenen Vater habe er damit widerlegt. „Mit diesem Zeugnis kommst du nicht weit, hat der immer gesagt.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft adé
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab