Zerwürfnis beim VfB Stuttgart: Sich selbst zum Gegner
Ein Machtkampf droht den VfB Stuttgart zu zerreißen. Gestritten wird um Grundsätzliches mit unlauteren, teils justiziablen Mitteln.
Es soll Angestellte des VfB Stuttgart geben, die seit Tagen den tollkühnen Plan verfolgen, die jeweils neuen Meldungen über ihren Verein einfach zu ignorieren. Doch das ist nicht so einfach, wenn alle zwei Stunden neue Wendungen und Intrigen aufpoppen und zumindest der württembergische Teil des Bindestrich-Landes sich weit mehr für den Lagerwahlkampf beim VfB als für den schleppenden Landtagswahlkampf interessiert.
Vogt gegen Hitzlsperger, darauf lässt sich der Konflikt zumindest auf den ersten Blick reduzieren. Auf einen Streit zwischen dem amtierenden Präsidenten des e. V., Claus Vogt, den einflussreiche Gremienmitglieder nicht zur Wiederwahl vorschlagen wollen. Und den Vorstandsvorsitzenden Thomas Hitzlsperger, dessen scharfe öffentliche Kritik an Vogt alles erst an die Öffentlichkeit zerrte.
Doch es geht um mehr. Es geht, so viel Meta-Ebene muss sein, um die Frage, wem denn nun der Fußball überhaupt gehöre. Denen, die ein geräuschloses Durchregieren für die bestmögliche Art und Weise halten, wie ein Profiverein zu führen sei. Oder denjenigen Fans und Mitgliedern, die glauben, dass es im durchkapitalisierten Profifußball möglich ist, transparent und demokratisch zu arbeiten. Dass beide Seiten der jeweils anderen vorwerfen, sie arbeite mit unlauteren Methoden und stecke Interna an die Presse durch, liegt in der Natur der Sache. Beide Seiten haben da im Übrigen völlig recht.
Ende Dezember hatte Hitzlsperger Vogt in einem offenen Brief jede charakterliche und fachliche Eignung abgesprochen. Für den scharfen Ton des Schreibens hat er sich seither mehrfach entschuldigt. Für den Inhalt und die vom Stuttgarter Talkessel aus dem „Highlander“ entliehene Kernaussage „Es kann nur einen geben“, hat er sich hingegen nicht entschuldigt. Das wäre auch heuchlerisch. Denn dazu sind die Fronten zu verhärtet, seit die Guerilla-Marketing-Aktion im Vorfeld der 2017 beschlossenen Ausgliederung der Profi-Abteilung publik wurde.
Missbrauch von Daten
Führende Vereinsmitarbeiter hatten – im Auftrag oder zumindest mit Wissen von Angehörigen der Gremien – eine als neutrale Fan-Seite getarnte Agentur damit beauftragt, Stimmung für die Ausgliederung zu machen, und dabei die Daten von etwa 35.000 Vereinsmitgliedern zweckentfremdet. Mindestens 600.000 Euro soll das den VfB gekostet haben. Nach seiner Wahl im Dezember 2019 hatte Vogt eine konsequente Aufklärung gefordert und gegen den Willen einiger Funktionäre, die derzeit am Pranger stehen, damit die Agentur Esecon beauftragt.
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Hitzlsperger, der 2017 noch nicht amtierte, war nach Bekanntwerden der Vorwürfe ebenfalls schockiert. Und bisher hatte er nicht die Chance, all die eines Besseren zu belehren, die ihm unterstellen, dass er die Affäre aussitzen will. Eine arbeitsrechtlich sattelfeste juristische Grundlage hatte er zuletzt als Voraussetzung genannt, um personelle Konsequenzen ziehen zu können. Die könnten nun unmittelbar bevorstehen, die abschließenden juristischen Bewertungen, die der Vorstand unabhängig vom Aufsichtsrat in Auftrag gegeben hat, sind abgeschlossen. Am Donnerstag wurde bereits ein neuer Mediendirektor vorgestellt. Dessen Vorgänger ist wie ein weiterer Mitarbeiter seit Monaten suspendiert.
Der Spiegel zitierte in der vergangenen Woche ausführlich aus dem Abschlussbericht von Esecon, der großen Teilen der Führungsebene attestiert, die Aufklärung verhindert zu haben oder gar selbst in die Daten-Affäre eingeweiht gewesen zu sein. Konkret richten sich die Vorwürfe an beide Präsidiumskollegen von Vogt, auch zwei Vorstände könnten abberufen werden. Hitzlsperger selbst obliegt es nun federführend, Konsequenzen aus den juristischen Gutachten zu ziehen. Wenn es hierbei nicht bei Bauernopfern bleibt, könnte das auch für ihn selbst ein Befreiungsschlag sein.
Dass beide Seiten in dem Konflikt mit schweren Bandagen kämpfen, ist offensichtlich. Vogt wurde zeitweilig regelrecht bedrängt zurückzutreten. Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth, Vogts Stellvertreter im Aufsichtsrat des e. V., soll nicht erst seit gestern zuweilen eine lautstarke Argumentationsführung pflegen. Schon Ehrenspielführer Guido Buchwald trat als Aufsichtsrat zurück, weil Porth ihn vor Zuhörern laut beschimpft hatte. Das Wort „Arschloch“ soll gefallen sein.
Irritierende Ausdrucksweise
„Eine solche Ausdrucksweise gegenüber einem verdienten Ex-Spieler hat mich doch sehr irritiert“, sagt dazu heute der Grünen-Politiker Cem Özdemir, der die Geschehnisse im Wahlkreis mit Befremden beobachtet. „Sie passt weder zum VfB noch zu einem international und bei uns in der Region hoch angesehenen Unternehmen. Wenn es einem doch mal passiert, dann schafft man es schnell aus der Welt.“ Özdemir, der 1978 sein erstes VfB-Spiel live im Stadion sah, hätte eigentlich ein paar gute Ideen, wie man die Streithammel einhegen könnte. „Genaue Aufgabenbeschreibungen für die jeweiligen Führungspositionen“ zum Beispiel. „Und in die Satzung müsste dringend eine Klausel, dass der Vereinsbeirat den amtierenden Präsidenten unbedingt zur Wiederwahl vorschlagen muss, damit es auch wirklich die Mitglieder sind, die das letzte Wort über die wichtigste Personalie im e. V. haben.“
Zurückrudern können beide Lager nun allerdings nicht mehr. Zumal sich andeutet, dass es um weit mehr gehen könnte als die Datenaffäre. Die Ausgliederung der Profiabteilung war 2017 von 84,2 Prozent der anwesenden Mitglieder beschlossen worden – schon bei 75 Prozent wäre das Quorum erreicht gewesen. Nach der Ausgliederung sicherte sich Daimler für 41,5 Millionen Euro 11,75 Prozent der AG-Anteile.
Wie der kicker nun berichtet, haben damals aber nur 9.133 von 12.504 stimmberechtigten Mitgliedern abgestimmt, die zum Teil von weit her angereist waren, um an der wichtigsten Entscheidung der jüngeren Vereinsgeschichte mitwirken zu können. Vor allem in dem Bereich, in dem die Gegner der Ausgliederung saßen, sollen viele Abstimmungsgeräte nicht funktioniert haben. Wenn belegbar wäre, dass in einem größeren Umfang abgegebene Stimmen nicht gezählt wurden – und sei es aufgrund technischer Defizite –, wäre das ein weiterer Tiefschlag für die damals Herrschenden. Es wäre aber auch eine Erklärung dafür, warum Jahre später ein Machtkampf mit einem neuen Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden dermaßen eskalieren konnte.
Derzeit wirken die Protagonisten in beiden Lagern dennoch wild entschlossen, den jeweils nächsten Punktsieg im Kampf um die Deutungshoheit zu erringen. Beide Seiten sind felsenfest davon überzeugt, dass erst das andere Lager weichen muss, ehe wieder Frieden einkehrt. Und beide Seiten schießen zuweilen übers Ziel hinaus.
Große Dummheit
Dass der Landesdatenschutzbeauftragte, der den Verein zu einer hohen Geldstrafe verdonnern wird, dem VfB eine gute Kooperation attestiert, während Esecon deren Fehlen bemängelt, ist genauso erklärungsbedürftig wie die Tatsache, dass die Unregelmäßigkeiten der über drei Jahre zurückliegenden Mitgliederversammlung 2017 erst jetzt öffentlich thematisiert werden. Auch die Versuche, Hitzlsperger selbst in die Schusslinie zu bringen, lassen zuweilen die Zielschärfe vermissen.
Wirkliche Belege dafür, dass er die Aufklärung verzögert habe, gibt es jedenfalls nicht. Klar ist jedoch, dass Hitzlsperger sich dem Lager der Vogt-Gegner verpflichtet fühlt. Ob aus inhaltlichen Gründen oder aus Loyalitätszwängen, sei dahingestellt. Dass sein offener Brief eine große Dummheit war, dürfte in einigen Jahren nicht mal mehr er selbst bestreiten. Wobei „Hitz“ es immer noch in der Hand hat, den Klub – und damit in der Folge sich selbst – neu zu positionieren.
Für ihn selbst ist die Dynamik der vergangenen Wochen durchaus tragisch. Schließlich hat er damit auch viele Menschen irritiert, die ihn jahrelang als reflektierten, ausgleichenden Charakter erlebt haben. Zumal mit großer Wahrscheinlichkeit nach wie vor die meisten der über 70.000 Mitglieder nichts lieber sähen als eine friedliche Koexistenz des Präsidenten und des Vorstandsvorsitzenden. Von Hitzlspergers erfolgreicher Arbeit zeugen die Auftritte einer jungen Mannschaft, die schönen und erfolgreichen Fußball zeigt. Vogt hingegen setzt einen Willen nach Transparenz und Mitbestimmung um, der gerade die engagierten und reflektierten Teile der Stuttgarter Anhängerschaft eint. Nicht nur Özdemir findet es da regelrecht tragisch, dass die beiden nicht zusammenarbeiten können.
Ein paar Etagen unter der Meta-Ebene gibt es in Bad Cannstatt auch Ebenen, über die derzeit nicht so oft gesprochen wird. Sie fangen im Erdgeschoss der Mercedesstraße 109 an und ziehen sich über die ganze Geschäftsstelle. Dort, so wird berichtet, hat sich das Freund-Feind-Denken aus der Führungsriege in die Gänge gefressen. Wer auf den Fluren mit dem falschen Gesprächspartner gesehen wird, wird automatisch einem Lager zugeordnet und Minuten später kaum noch gegrüßt. Selbst dann, wenn die Unterhaltung um das schöne Winterwetter kreiste.
Der Fußball behauptet ja gerne von sich, dass er Menschen zusammenbringt. Am Beispiel des VfB Stuttgart sieht man derzeit eher, dass er ganz gewiss die Kraft hat, Menschen für immer und ewig zu entzweien.
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