piwik no script img

Zersäge uns!

Der allgegenwärtige Aphex Twin bringt seine Rephlex-Klone mit  ■ Von Holger in't Veld

Falls Gott tatsächlich ein Mann ist, so ist sein Name Richard D. James. Und nicht Eric Clapton, wie es damals auf den Londoner Hauswänden stand. Oder wollen Sie etwa zu einem Rassisten beten? Wenn schon ein Musiker alten Schlags, dann doch eher Hendrix, Lennon und Cobain. Aber Gott ist nicht tot und spielt, zumindest hier und jetzt, bestimmt keine Gitarre. Gott ist in den Maschinen. Er kontrolliert die Datenströme, transzendiert Null und Eins, bringt Techno und Körper zusammen, ohne den Leib in 4/4 zu zwängen. Er wächst aus Glasfasern, Telefonleitungen, Bildschirmen.

Spätestens seit der monochromen Video-Zeitenwende von „Come To Daddy“ erkannten auch die Menschen, die Schwierigkeiten haben, Aphex Twins Musik zu lesen, daß er alle ist – und alle sind er. Wer sich dem verweigert, wird in seinem orkanartigen Atem verwehen. Wie in Das Schweigen der Lämmer bietet auch die Zivilisationsflucht kein Entkommen. Klammert euch an das Südsee-Insel-Paradies, Richard wartet schon! Wenn ihr vorsorglich allen weißen Männern aus dem Weg geht, dann eben als schwarze Frau. So zumindest spricht es aus den Bildern zu seinem neuen Video „Windowlicker“, wo das Prinzip der Identitätsauflösung mit einem Pfund grobschlächtigem Humor gewürzt wird. Jenem englischen Haudrauf-Witz, in den Leitwolf James von seiner unterhaltungswütigen Meute getrieben wird, der aber auch aus der verfeinerten Langeweile seiner elektronischen Umgebung resultiert.

RDJ, wie der immer noch längst nicht Dreißigjährige auf seinen zahlreichen Internet-Fan-Seiten genannt wird, will Spaß und buchstabiert ihn als Progression und Provokation, als Digital Hardcore und Gainsbourg. Was auch in etwa dem Koordinatensystem seines eigenen Labels Rephlex entspricht, wo er sich seit vier Jahren mit einer Gruppe mehr oder weniger origineller Bewunderer umgibt. Seine an diesem Abend mitgereiste Jüngerschar funktioniert ähnlich wie die Videos als Ansammlung von Spiegelbildern seiner verschiedenen Entwicklungsstufen.

Da wäre Chris Cylob Jeffs als Richard in der ästhetisiert-klangbildnerischen Phase von Caustic oder Polygon Window, der etwas strengere Mike Dred in der Rolle des isolationistischen Sägezahns aus der ambienten Zeit des Aphex Twin und als konsequentester Klon schließlich Ed DMX, der auch äußerlich ein Bruder von Richard sein könnte und sich für den Posten des diceman, des hyperventilierenden Disco-Dancers, entschieden hat. Dank Entertainer-Qualität und dem Übertreten aller 80er-Geschmacksgrenzen entwickelt er darin durchaus auch eigenes Licht.

Ganz anders jedoch Luke Vibert, der diesen Abend im Mojo Club an die Erde zurückbindet. Als einziger Beteiligter kein fester Bestandteil der Rephlex-Kommune, kommt dem guten Freund die wichtige Position des amüsierten außenstehenden Beobachters zu, dessen Set nur oberflächlich konventioneller ist. Tatsächlich haben seine grandiosen Gleitfahrten durch hundert Definitionen von Funk mehr Musikalität als die aller anderen Beteiligten des Abendmahls. Aber darum geht es nicht. Vibert ist nur die Sahne auf dem tabascogetränkten Chili, und am Ende der Liebe steht Zerstörung. Deswegen freuen sich Menschen, wenn Aphex Twin ihr Equipment zerstört. Deswegen fährt Gott Panzer. Liebe uns, Richard! Sei in uns! Zersäge uns!

So, 31. Januar, 20 Uhr, Mojo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen