Zensur in Polen: Das tut weh!
Ein Pop-Song, der den PiS-Chef Jarosław Kaczyński kritisiert, sorgt beim Staatsrundfunk für Unruhe. Es hagelt Kündigungen und Proteste.

„Dein Schmerz ist besser als meiner!“, ätzt der Song gegen den Parteichef der regierenden Nationalpopulisten von der Recht und Gerechtigkeit (PiS), ohne ihn auch nur einmal mit Namen zu nennen. Doch die HörerInnen der Hitparade des dritten Radioprogramms Trojka erinnern sich genau an den Skandal. Die PiS-Regierung hatte alle Friedhöfe im Lande wegen der Ansteckungsgefahr gesperrt. Nur einer durfte die letzte Ruhestätte seiner Familie besuchen – der Parteifunktionär Jarosław Kaczyński, der mächtigste Mann Polens.
Die HörerInnen setzten den Song auf den ersten Platz der wöchentlichen Hitparade. Dann verschwand die Liste von der Radio-Website und Spekulationen machten die Runde. Kurz darauf veröffentlichte der Trojka-Chefredakteur eine seltsame Erklärung, in der er sich wortreich für den „Bruch der Regeln“ und das „Einführen eines Liedes von außerhalb der Liste“ entschuldigte.
Empfohlener externer Inhalt
Zudem habe sich jemand eine „Manipulation beim Auszählen der Stimmen“ zuschulden kommen lassen, wodurch das „Endergebnis der Hitparade verfälscht“ worden sei. Aus diesem Grund habe sich die Redaktion entschlossen, die Abstimmung über die Hitliste zu einer ungültigen zu erklären.
Hoher Stellenwert
„Zensur!“ empörten sich vor allem Musiker und Oppositionelle in Polen. Doch auch in den Reihen der PiS und ihrer Anhänger regte sich Unmut über den Eingriff in die Kunstfreiheit. Sie genießt in Polen einen sehr hohen Stellenwert. Obwohl der Staatsfunk (Polskie Radio), der frühere öffentlich-rechtliche Rundfunk, seit mehreren Jahren fast nur noch PiS-Parteipropaganda bringt, glaubte man bislang doch, dass die Musik ideologiefrei ausgestrahlt werde. Doch damit ist es nun vorbei.
Marek Niedźwiecki, Polens Schlager-Koryphäe und Kult-Moderator für Musiksendungen, kündigte am Montag. Angesichts des Vorwurfs, er habe die von ihm seit 35 Jahren moderierte Hitparade „unlauter vorbereitet“, stelle er die „Zusammenarbeit mit dem dritten Programm“ ein, erklärte er in dürren Worten.
Über zehn weitere Musikmoderatoren verließen den Sender ebenfalls bis Mittwoch. Die einen freiwillig und aus Solidarität mit Marek Niedźwiecki, die anderen auf mehr oder minder starken Druck von oben, wie es in polnischen Medien heißt. Mehrere Künstler riefen zum Boykott des Senders auf.
„Solange die Sendeleitung sich nicht vom Fälschungsvorwurf der Hitparade vom vergangenen Freitag zurückzieht“, kündigte Redakteur Michał Olszański an, „wird es keine Hitparade mehr geben“. Niemand will die nun verwaiste Sendung übernehmen. „Zur Kultsendung hat sie Niedźwiecki gemacht“, so ein anderer Redakteur, der nicht genannt werden will. „Ohne ihn ist die Trojka-Hitparade tot. Sie geht in die Radiogeschichte ein. Und das war es dann.“
Derweil macht der Protestsong von Kazik Staszewski „Dein Schmerz ist besser als meiner“ Furore im Internet. Zwar spielt ihn das dritte Programm des polnischen Radios nicht mehr, dafür aber klickten schon weit über sieben Millionen Fans und Neugierige die Ballade vom Friedhofsgänger Kaczyński an und singen sie spöttisch mit: „Dein Schmerz ist besser als meiner.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!