Zensur der Kultur in Spanien: Auf dem Weg zurück
In Spanien leidet die Kultur unter regionaler Zensur. Bei den Kommunal- und Regionalwahlen gab es vergangenen Mai einen Rechtsrutsch.
„Wir werden uns nicht mit der Zensur abfinden“, schimpft Javier López. Der 57-Jährige aus dem 300-Seelen-Ort Fanzara im Hinterland der spanischen Mittelmeerregion Comunidad Valenciana ist der Sprecher des MIAU, des „Unvollendeten Museums Urbaner Kunst“. So heißt das Graffiti-Festival, das seit nunmehr zehn Jahren hier abgehalten wird.
Nationale und internationale Graffitikünstler werden eingeladen, übernachten bei Dorfbewohnern zu Hause und bemalen die Wände im Ort, ganz wie sie wollen. So bunt wie hier ist es nicht einmal in der Bronx. Jetzt, nachdem vergangenen Mai die rechte Partido Popular (PP) ins Rathaus einzog, soll damit Schluss sein. Laut einer im Gemeinderat verabschiedeten Regelung dürfen die Künstler künftig zwar weitermalen, aber sie müssen zuvor eine Skizze auf der Gemeindeverwaltung vorlegen. Dort soll dann entschieden werden, ob das Kunstwerk ins Dorfbild passt oder nicht.
„Es dürfen auf keiner Mauer im Ort Sätze, Zeichnungen oder Ähnliches politischer Art gemalt werden, das die Gefühle einzelner Personen oder Kollektive verletzt“, heißt es in der neuen Gemeindeverordnung. Der Grund: Die PP regt sich über ein Graffito auf, das im vergangenen Jahr entstand. Mit dem Satz „Das einzig würdige Vaterland in diesem Land liegt in den Straßengräben“ wird der rund 150.000 Opfer der Repression gegen Demokraten und Linke im Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur gedacht, die noch immer irgendwo verscharrt sind.
Wenn ein Hausbesitzer künftig einem Künstler die Wand ohne vorherige Genehmigung zur Verfügung stellt, muss er – so das Rathaus – das Werk entfernen. Falls nicht, werden die Gemeindearbeiter ausrücken, um das Corpus Delicti zu übertünchen – auf Rechnung des Hausbesitzers, versteht sich. So sieht es die Verordnung vor, die darauf wartet, im Amtsblatt veröffentlicht zu werden.
„Wenn die Gemeindeverwaltung dies tatsächlich durchzieht, werden wir aufhören. Wir werden da nicht mitmachen“, schimpft López. Am vergangenen Wochenende versammelte sich mehr als die Hälfte der Einwohner des kleinen Ortes in den Bergen, um ihr MIAU gegen die politische Vorabkontrolle zu unterstützen.
Kulturressorts in rechtsextremer Hand
Das Graffiti-Event in Fanzara ist nicht das einzige Beispiel von kommunaler und regionaler Zensur in Spanien nach dem Rechtsrutsch bei den Kommunal- und Regionalwahlen vergangenen Mai. Dort, wo die PP mit der rechtsextremen Vox gemeinsam regiert – in rund 130 Städten und Gemeinden sowie in fünf Regionen ist dies der Fall –, ging das Kulturressort meist an die Rechtsextremen.
Aber auch dort, wo die PP wie in Fanzara die absolute Mehrheit hat und somit alleine regiert, sieht es oft schlecht für die künstlerische Freiheit aus. Festivals wird der Zuschuss gestrichen, Filme und Theaterstücke werden abgesetzt, Preisverleihungen behindert, Bibliotheken umsortiert.
Zwölf Jahre nach der Empörtenbewegung, die für Spaniens Alltagskultur und für das Politikverständnis vieler so etwas wie ein Mai 68 war – nutzt die Rechte ihre neu errungene kommunale und regionale Macht, um Kultur und Politik wieder ihr Verständnis von Spanien, das tief in der vordemokratischen Vergangenheit wurzelt, aufzudrücken.
Aus für freie Initiativen
So etwa in der Pyrenäenstadt Huesca: Hier findet seit 23 Jahren das Festival Periferias (Randgebiete) statt. Auf Drängen von Vox – Koalitionspartner der PP im Stadtrat – wurde der Initiative die Finanzierung entzogen. Das bedeutet das Ende einer der wichtigsten Veranstaltungen für avantgardistische Musik und Bühnenkunst außerhalb der Metropolen.
Was für Vox nur dazu diente, „fortschrittliche Kulturfritzen mit Geld zu übergießen“, wie die jetzigen Gemeinderäte der Partei in Huesca während des Wahlkampfs behaupteten, war einer der wenigen Orte, an dem Künstler aus der Provinz ihr Schaffen präsentieren konnten. Als „eine der einfallsreichsten, freiesten und unterhaltsamsten, tief verwurzelten Initiativen, der spanischen Kulturlandschaft“ beschreibt der Schriftsteller Sergio de Molino – Autor des Buches „Leeres Spanien“ – das Festival Periferias. Jetzt soll es durch ein Festival für die Jugend unter Regie der Rechts-rechtsaußen-Stadtverwaltung ersetzt werden.
In Burriana an der Küste unweit von Fanzara ordnete der Kulturstadtrat zu Beginn des Schuljahres im vergangenen September an, Bücher zum Thema LGBTI aus dem Kinder- und Jugendbereich der Stadtbibliothek zu verbannen und in die Erwachsenenabteilung zu verlegen, um „Kinder und Jugendliche vor pornografischen und skandalösen Inhalten zu schützen“. Davon betroffen sind Werke wie „Das Mädchen mit zwei Vätern“ oder „Richard und die Barbies“.
Proteste des Bibliothekspersonals konnten dies erst einmal verhindern. Nun sammelt Vox Unterschriften unter einem regionalen Bürgerantrag für eine Gesetzesinitiative, damit künftig in allen Bibliotheken der Region LGBTI-Kinder- und -Jugendbücher in die Erwachsenenabteilung müssen.
Schauspieler in Unterhosen als Skandalon
Mancherorts nimmt die Zensurwut skurrile Züge an. In einem Dorf in Nordspanien traf es den Zeichentrickfilm „Lightyear“ aus dem Hause Walt Disney, weil sich darin zwei Frauen küssen. Und in einem Ort unweit von Madrid wurde das Theaterstück „Orlando“ von Virginia Woolf abgesetzt. Doch nicht nur politische Bedenken gegen alles, was nicht heteronormativ zu sein scheint, führen zur Zensur, sondern Moral und Anstand ganz allgemein.
In Toledo wurde eine Theatergruppe ausgeladen, weil in einer Szene mehrere Schauspieler in Unterhosen auftreten. „Das könnte empören“, heißt es aus der Stadtverwaltung. Wohlgemerkt, die Schauspieler tragen nicht etwa sexy Boxershorts oder gar Tangaschlüpfer, nein, es sind weiße Riesen wie aus Opas Kleiderschrank.
In Orihuela, wie Burriana und Fanzara ebenfalls in der seit Mai von PP und Vox regierten Comunidad Valenciana, wurde der Gemeindezuschuss für einen nach dem illustren Sohn des Ortes, dem Dichter Miguel Hernández, benannten Literaturpreis gestrichen. Hernández schrieb und kämpfte im Bürgerkrieg gegen die faschistischen Putschisten unter Diktator Francisco Franco. Schließlich starb er an Tuberkulose in einem Gefängnis der Diktatur. Sein wohl bekanntestes Werk ist das „Wiegenlied der Zwiebel“, das er aus der Haft an Frau und Sohn schickte.
Parallelen zur Politik von Donald Trump
„PP und Vox richten sich mit dieser Politik an das, was der US-amerikanische Soziologe Michael Kimmel zornige weiße Männer nennt“, analysiert Jorge Lago, Philosoph, Dozent an der Universität Carlos III in Madrid und Verleger, die Zensurpolitik der Rechten. In seinem neuesten Buch, „Politik und Fiktion“, untersucht er gemeinsam mit dem spanischen Sozialminister Pablo Bustinduy das politische Panorama nach der Finanz- und Covidkrise, geprägt durch den rasanten Aufstieg der extremen Rechten.
„Sie richten sich an all diejenigen, die sich abgehängt fühlen“, sagt Lago und zieht Parallelen zur Politik von Donald Trump oder Javier Milei. Es gehe um die Hegemonie, darum, mit Traditionen an den Stolz derer zu appellieren, die „sich von der Geschichte abgehängt fühlen“. „Der Kulturkampf als eine Art Rache an allem Woken, an allem Intellektuellen, Modernen, Coolen“, resümiert Lago.
Das Beispiel für diesen kulturellen Kampf schlechthin ist Madrid, wo sowohl in der Region als auch im Rathaus die PP im Alleingang regiert. Hier wurden Gedenktafeln für Demokraten und Opfer der Diktatur und der faschistischen Truppen im Bürgerkrieg entfernt. Tradition – oder das, was die Rechte darunter versteht – wird großgeschrieben, während versucht wird, alteingesessene intellektuelle Initiativen zumindest an ihrer Arbeit zu behindern.
So streicht die Regionalregierung unter Isabel Díaz Ayuso vom Vox-nahen Flügel der PP die Zuschüsse für das 1835 gegründete Ateneo Científico y Literario – ein Kulturverein für wissenschaftliche und kulturelle Debatten – im Zentrum der Hauptstadt. Das Ateneo, der Ort für freies Denken schlechthin, steht allen Sensibilitäten offen. Künftig sollen nur noch einzelne Veranstaltungen gefördert werden. Mehr ist von der Regionalverwaltung zum Thema Ateneo nicht zu erfahren.
Ayuso setzt Prioritäten. „Madrid ist eine Stierkampfstadt. Wir arbeiten daran, dem Stier den Ort zurückzugeben, den er verdient. Wir machen das, weil wir an die Freiheit glauben“, sagt sie während einer Veranstaltung anlässlich des Ruhestandes eines der bekanntesten lebenden Toreros. Ihre Regionalregierung erhöhte im Haushalt die Posten für das blutige Spiel mit dem wilden Tier. Rund sieben Millionen Euro pro Jahr gehen an Züchter und an die Veranstalter der Stierkämpfe in Madrid. Zum Vergleich: Der gestrichene Zuschuss des Ateneos belief sich auf jährlich 100.000 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste