: Zensur, Marktund Geschmack
Die Reihe „Umschreibungen“ im Zeughauskino beschäftigt sich mit den zahlreichen Eingriffenin die Filme der jungen Bundesrepublik Deutschland
Interview Andreas Hartmann
taz: Frau Frank, „Umschreibungen“ heißt die Filmreihe, das Sie für das Zeughauskino mitkuratiert haben. Was genau ist unter solchen Umschreibungen zu verstehen?
Stefanie Mathilde Frank: Jegliche Form der Veränderung von Filmen. Das können Schnitte sein oder Synchronisationen. Sie können durch die FSK, die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, vorgenommen worden sein oder durch die Filmverleiher, aber ebenso durch politische Vorgaben entstanden sein.
Sie konzentrieren sich auf Filme, die im Nachkriegsdeutschland der Adenauer-Zeit rezipiert wurden. Warum?
Die Filmreihe ist Teil der 2016 in Locarno gezeigten Retrospektive „Geliebt und verdrängt“, kuratiert von dem Filmwissenschaftler Olaf Möller, die nun im Zeughauskino zu Gast ist und einen neuen Blick auf das Kino der fünfziger Jahre wirft. Das ist der Hauptgrund. Aber Umschreibungen sind natürlich nicht nur ein Phänomen der fünfziger Jahre. Auch in „Stirb langsam“ aus dem Jahr 1988 werden in der Synchronfassung aus den deutschen Terroristen irgendwelche europäischen Kriminellen, um ein bekanntes Beispiel zu nennen. Kino aber war in der Adenauer-Zeit weit mehr als heute ein ungeheuer wichtiges Medium, ein Ort, an dem verschiedene Generationen zusammenkamen. Insofern hatten Filme eine große Bedeutung für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse.
Warum genau wurde so viel umgeschrieben in dieser Zeit?
Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Dahinter stecken nicht nur politische Fragen, sondern auch wirtschaftliche, etwa nach dem Erfolg beim Publikum. Viele Filme wurden nur deswegen gekürzt, damit sie einfach marktkompatibler sind. Auch heute ist es im Fernsehen gegebenenfalls so, dass Filme, die eigentlich 138 Minuten lang gehen, so nicht ins Sendeschema passen, und dann fehlen eben 8 Minuten. Nach 1945 gab es zudem teilweise schlicht die Notwendigkeit, Filme zu schneiden. NS-Symbole mussten beispielsweise aus Heinz-Rühmann-Komödien herausgeschnitten werden, um die beliebten Filme weiter zeigen zu können. Bei „Casablanca“ von Michael Curtiz aus dem Jahr 1942, der zehn Jahre später dann ohne Nazis in der deutschen Synchronfassung zu sehen war, ist der Grund wieder ein anderer. Dahinter stand ja keine staatliche Zensur. Der Verleih hat die Änderungen veranlasst, noch bevor der Film der FSK vorgelegt wurde: mit Blick darauf, was das deutsche Publikum sehen möchte. Kann man diesem zumuten, dass da Conrad Veidt den Nazi Major Strasser spielt? In diesem Fall war es der Filmverleih, der entschieden hat: eher nicht.
Besonders bizarr klingt der Fall „Anders als du und ich (§ 175)“ aus dem Jahr 1957, ein Film über Homosexualität, ausgerechnet von Veit Harlan, dem Regisseur des berüchtigten antisemitischen Films „Jud Süß“…
Ja, tatsächlich. Der Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte und in der Nazizeit verschärft wurde, war zu der Zeit immer noch aktuell, also musste der Film neu geschnitten und teilweise nachsynchronisiert werden, weil die FSK ihm vorwarf, das „sittliche Empfinden“ zu verletzen und Homosexualität zu wenig deutlich zu verurteilen. Der Film wurde also mit mehr Homophobie gezeigt. Der publizistische Diskurs danach wiederum warf Veit Harlan vor, dass er Homosexuelle diffamieren würde.
Filme wurden durch Umschreibungen nicht nur entnazifiziert, sondern auch von vermeintlicher kommunistischer Propaganda befreit. Wie ging das vor sich?
Es gab in den fünfziger Jahren den sogenannten Interministeriellen Ausschuss für Ost-West-Filmfragen, der sämtliche Filme, die aus der DDR oder dem Ostblock kamen, geprüft hat. Dem Grundgesetz nach haben wir keine Zensur und die FSK ist auch schon in den Fünfzigern nicht staatlich gelenkt. Parallel existiert aber ein Gremium, ein Ausschuss der Bundesregierung, der in Filme aus anderen Ländern eingreifen kann. Eine ganze Reihe von Defa-Filmen, wie etwa „Der Untertan“ von Wolfgang Staudte, sind dann mit Schnittauflagen versehen oder gleich ganz verboten worden.
Sie zeigen in Ihrer Reihe auch ein Remake. Inwieweit genau sind auch Remakes Umschreibungen?
Ein Beispiel für solch ein Remake, das wir auch zeigen werden, ist „Ferien vom Ich“ von Hans Deppe von 1952. Der hat seinen eigenen Film aus dem Jahr 1934 noch einmal neu gedreht, sozusagen aktualisiert. Der Film ist deswegen so interessant, weil der amerikanische Millionär, der in diesem nach Deutschland kommt und ein Erholungsheim kauft, plötzlich deutsche Wurzeln hat, die es in der ersten Fassung des Films nicht gab. Ausgerechnet in einem Heimatfilm, dem als Genre lange Wirklichkeitsferne vorgeworfen wurde, lässt sich diese Aktualisierung beobachten, die Kommentar, Überschreibung und Verdrängungsindiz zu der Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen ist.
Stefanie Mathilde Frank ist Filmdozentin an der HU
Die Reihe „Umschreibungen“ läuft vom 9. bis 17. November im Zeughauskino. Parallel zur Reihe werden Workshops angeboten, www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/umschreibungen.html
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