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Zeitfahren bei der Tour de FranceLange oder breite Helme?

Beim Zeitfahren der Frankreich-Rundfahrt rückt das Material in den Mittelpunkt des Interesses. Neue Entwicklungen bringen neue Vielfalt.

Schnittig langer Helm: Emanuel Buchmann vom Team Bora-hansgrohe trug zuletzt das gängige Modell Foto: imago

Der Profiradsport hat auch eine galaktische Dimension. Beim Zeitfahren der Tour am heutigen Dienstag darf man eine Art interplanetarischen Rat erwarten. Denn Gestalten mit einer länglichen Kopfform, die an die versprengten Bewohner des Planeten Remulak aus dem Film „Coneheads“ erinnern, werden auf Vertreter aus „Star Wars“ treffen. Sie alle sind Produkte des immerwährenden Kampfes um Watteinsparungen und Sekundengewinne durch aerodynamische Neuerungen.

Vor ein paar Jahren tauchten im Radsport die langen Zeitfahrhelme auf. Sie machten die Radprofis zu regelrechten Aliens und galten als das Nonplusultra der Windkanal-geprüften Aerodynamikforschung. Inzwischen ist die Lehrmeinung nicht mehr so klar. „Es gibt sehr viele unterschiedliche Konzepte. Was da gut ist und was schlecht, ist eine schwierige Frage“, seufzt Rolf Aldag. Er ist Head of Performance beim deutschen Rennstall Bora hansgrohe.

Die Helme mit dem langen Schwanz hält er prinzipiell noch immer für gut. „Aber nur so lange, wie man die Position hält“, warnt er. Denn wenn man damit anfange, „einmal nach unten zu gucken, welchen Gang man jetzt drauf hat, ist es natürlich auch vorbei mit der großen Aerodynamik.“

Ähnlich sieht es Koen de Kort, Ex-Profi bei Trek Segafredo und Technikentwickler beim Nachfolgeteam mit dem deutschen Discounter im Namen: „Wir haben keinen eigenen Sponsor für die Helme. Deshalb können wir wählen, welcher Helm der schnellste für den jeweiligen Fahrer ist. Die mit dem langen Hinterteil sind richtig gut für die Fahrer, die dieses lange Ende gut auf dem Rücken halten können. Aber wir haben auch Fahrer, die den Kopf ziemlich tief halten. Sie schauen nach unten. Und dann würde das lange Ende steil in die Luft ragen, was aerodynamisch ziemlich schlecht ist. Welcher Helm der schnellste ist, hängt auch davon ab, wie der Fahrer auf dem Rad sitzt und Rennen fährt.“

Es kommt auch auf Haltung an

Die Zeiten, dass sich die Fahrer an die Helme anpassen und ihre Sitzposition danach ausrichten mussten, sind offenbar vorbei. Vielmehr kommt es auf die Balance zwischen optimaler Position für die Leistungsentwicklung und aerodynamisch perfektem Gesamtsystem an.

Und da kommen wieder breite Helme ins Spiel. Der nowegische Rennstall Uno-X verblüffte im Frühjahr mit megabreiten Helmen. Der Schweizer Zeitfahrspezialist Stefan Bissegger war in diesem Jahr mit einem nicht ganz so breiten Helm unterwegs. Aber auch er unterschied sich massiv von den länglichen Versionen. „Sein Zeitfahrhelm ähnelt den ganz breiten Dingern, wie sie Speedskier haben. Sie sind geschwungen. Und die Vermutung ist, dass das funktioniert, wenn man den Kopf vor dem Körper hat“, erläutert Aldag.

Mit ähnlich breiten Helmen wollte auch das dsm-firmenich um Road Captain John Degenkolb an den Start. „Wir waren mit unserem Helmausrüster Scott wirklich schon weit in der Entwicklung. Dann veränderte aber die UCI die Regeln für die Abmessungen. Und das war dann das Ende dieser Pläne“, erzählte Piet Rooijakkers, Technikspezialist bei diesem Rennstall. Die früher entwickelten von Bissegger und Uno-X wurden nicht verboten, neuere Entwicklungen aber müssen sich einem strengeren Regelwerk in Sachen Abmessungen unterwerfen.

Auch etwas tiefer sollte der Blick gehen. Manche Hersteller entwickeln dreieckige Flüssigkeitsbehälter, die Teile des Rahmens ausfüllen. „Die, die unten im Rahmendreieck integriert sind, sind schon das Schnellste“, sagt Aldag. Bis zu fünf Watt gegenüber Standardflaschen könne man sparen, schätzt er. Gegenüber einer Standardausrüstung an Kleidung, Helm und Zubehör könne man mit perfekt abgestimmtem Material um die 30 Watt herausholen, vermutet Aldag. Es gewinnt also auch das richtige Material.

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7 Kommentare

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  • Nach dieser dominanten Vorstellung des Dänen frage ich mich woher diese Dominanz den eigentlich so plötzlich herkam. Mehr als 2km/h im Schnitt schneller als der ebenfalls sehr gute Zweitplatzierte. Ein ScHelm der böses dabei denkt...

  • Nicht schlecht, dann regnet es einem auch nicht mehr in den Nacken.

  • Interessant. Aber in welchem Verhältnis stehen die 30 Watt?

    • @Stoffel:

      Ja, im Artikel fehlt die Einordnung.

      Ein Rennradfahrer leistet je nach Konstitution und Situation zwischen 300 und 600 Watt.

  • Die Wattangabe zu einzelnen Komponenten sind Übertreibungen. Relevant ist das Zusammenspiel aller Teile. Statt an konventionellen Rädern rumzubasteln wären verkleidete Liegeräder Stand der Technik. Aber die UCI ist in der Vergangenheit stecken geblieben.

    • @Ceebee:

      Da kann man ja gleich mit einem Hollandrad an den Start gehen.

      • 6G
        678409 (Profil gelöscht)
        @PezzeyRaus:

        Stelle mit gerade vor, dass alle Hobby-Rennradfahrer auf einmal mit verkleideten Liegerädern unterwegs sind. Der Krieg auf der Straße würde ausbrechen. SUVs gegen ganze Armeen von Liegerradfahrern. Aus SUV Perspektive sind die Liegerräder nur am Fähnchen zu erkennen. 😉 😆

        Sorry, das musste ich jetzt schreiben. Ich liebe alle Arten von Fahrrädern, aber ein verkleidetes Liegerrad ist mir zu nah an einem Auto. Und so denkt die UCI wahrscheinlich auch.