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„Zeit-Magazin“ über Dimes SquareJegliche Distanz verloren

Das „Zeit-Magazin“ hat der neorechten Dimes-Square-Szene in Manhattan eine Titel-Reportage gewidmet. Der Text lässt jede Distanz vermissen.

Dimes-Square in New York Foto: John Marshall Mantel/imago

Es gibt Texte, deren Lektüre augenblicklich Unbehagen auslöst. Die Titel-Reportage des Zeit-Magazins der letzten Woche von Marlene Knobloch „Wie wurde rechts cool?“ ist so ein Text. Einer, der Wort für Wort ins Hirn sickert wie vergorene Milch: eigentlich passiert nichts, wenn man sie trinkt, schlecht wird einem nur vom Gedanken daran.

In der Reportage beschreibt die Autorin in dringlich-leidendem, aber eben auch ­coolem Tonfall „Wie [sie] versuchte auf die hipste rechte Party New Yorks zu kommen“ – und wie sie am Ende abgewiesen wird. Auf den zehn Seiten dorthin ergeht Knobloch sich in Begehrlichkeiten und Details. Zentrum der Geschichte ist die sogenannte Dimes-Square-Szene, eine neurechte, Trump huldigende Subkultur, in deren Zentrum Akteure wie die beiden Hosts des „Red Scare“-Podcasts Dasha Nekrasova, Anna Khachiyan und der ultrarechte Blogger Curtis Yarvin stehen.

Wer darf mitspielen? Wie sehen die aus? Welche Kultur wird konsumiert, welche Meinungen werden verbreitet? Und wie? Eben kurz: Wie wurde rechts zur begehrenswerten Subkultur? Was im ersten Moment klingt wie eine Vice-Reportage oder ein Moritz-von-Uslar-Text der nuller Jahre, kommt ohne Sensation, ohne Provokation und ohne gewollten Bruch daher.

Das Unangenehme des Textes liegt in seiner Subtilität. In der unscheinbaren, zuweilen langweiligen Tonalität, mit der auch „Warum wurde Vapen cool?“ oder „Wie komme ich ins Berghain?“ aufgeschrieben werden könnten. Es könnte eine Szene aus einem neuen deutschen autofiktionalen Midcult-Roman sein, der sich in einem konfliktären Ende ergeht, nur, dass es sich um eine Reportage in der auflagenstärksten Wochenzeitung Deutschlands handelt – und das konfliktäre Ende ausbleibt.

Erfüllt von Wehmut

Dass die Dimes-Square-Szene ein beachtenswertes soziokulturelles Milieu ist, will man neurechte Tendenzen verstehen, steht außer Frage, wie auch Texte in der FAZ oder der taz zeigten. Wenn Knobloch jedoch Sätze aufschreibt wie „Als ich Fotos von diesem Salon sah und die Geschichten hörte, erfüllte mich Wehmut“, scheint die Autorin jegliche Distanz verloren zu haben. Der süße Coverboy auf der Titelseite, die Beschreibungen der wilden Nächte, die leichte Abwertung ihres eigenen, „linken“ Freundeskreises reihen die Neurechten gleichberechtigt ein in die leichte, glänzende Welt des aufgeklärten Wochenend-Konsums.

Dass Pose und Gegenkultur durch Medienrezeption zu konsumierbaren Attitüden gerinnen, ist altbekannt. Doch während linke Subkulturen dabei stets Kommodifizierung argwöhnten, ist dies bei dieser rechten „Avantgarde“, wie Knobloch sie beschreibt, nicht Angst, sondern Ziel. Das kapitalistische Spektakel fürchtet die Kapitalisierung nicht, die Durchdringung der Massen ist ihre Bestrebung.

Es ist an der Zeit, rechtslibertäre Bewegungen als das darzustellen, was sie sind: pseudo­rebellisch.

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13 Kommentare

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  • "Es ist an der Zeit, rechtslibertäre Bewegungen als das darzustellen, was sie sind: pseudo­rebellisch."



    ... erinnert mich an die Popper-Szene der Achtziger: Overstyled und stockkonservativ — Bommelschuhe und Schulterpolster und Duran Duran.



    Warum sagt man nicht einfach: Da wohnte damals nix Neues drin und heute anscheinend ebenfalls.

    Letztlich bleibt nach dem Abschälen aller Merkmale solcher Trends aka Strömungen immer der Kampf:



    Arm gegen Reich.



    Unterschicht gegen Oberschicht.



    Ausbeuter gegen Ausgebeutete.



    Produzenten gegen Konsumenten.

  • Wer Curtis Yarvin irgendwas unterhaltsames abgewinnen kann dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen.

  • Wenn es ihr Ziel war, dass Leser jetzt den zeitartikel abrufen, dann haben sie ihr Ziel erreicht.

  • Es ist doch lächerlich in einem Artikel einen anderen Artikel zu kritisieren, wenn man so gar kein Gespür für Ironie, intellektuellen Anspruch oder eigene Ideen hat.



    Knobloch dekonstruiert Dimes-Square durch ihre Darstellung; in der taz zeugt die Linke, warum sie langweilig ist.

    • @HSF:

      Ironie, Ideen und Intellektuell sollte mensch aber auch können und machen (und auch nicht anderen argumentelos einfach absprechen ; ) ) .



      De gustibus non est disputandum, attamen :)

  • Vielen Dank für diesen tollen Text! Mir ging es genauso ich hatte starken Reflux und Sodbrennen nach dem Text. Warum wird ein solcher Text überhaupt produziert und dann auch noch abgedruckt? Ist die Zeit so nach rechts geruckt?

    • @Jacob Ditmann:

      Ja, die Zeit mäandert kontinuierlich nach rechts - so wie inzwischen fast alle Milliardärsmedien.



      Ob das neulich die Lobhudelei auf Krah/Kubitschek war oder der entgleiste Biller... der Weg ist klar.

  • Der unsägliche von Uslar, genau, das trifft es als Vergleich: selbstbezogen, dazugehören wollend, mit Banalitäten Zeilen schindend und nicht ans Ziel kommend. Generationszugehörigkeit, Lifestyle und "erzählen" reicht schon.



    Der Text schmerzte in seiner Länge - es musste doch jetzt auch mal Inhalt und Analyse kommen ... nee.

    Nicht falsch verstehen: Journalismus muss gar nicht strammlinks sein. Qualität, er sollte Qualität haben. Wie bei der Zeit normal reichlich vorhanden.

  • Tatsächlich war das ZEIT-Hochglanz-Magazin einer der Gründe, warum ich die Zeit schweren Herzens gekündigt hatte: Zu viel Unnützes, Überflüssiges und Ärgerliches wird dort zwischen riesen Werbe-Anzeigen mit überteuerten BlingBling (,wie ihn Privatjetflieger im Mittelstand lieben,) präsentiert. Da passt so eine wohlwollende Reportage über die neue



    Kleptokratie-Szene in den USA gut rein und viele Medienmacher sich mehr an als sie es wohl selber wahrhaben wollen.

    • @Rumori:

      Das Kreuzworträtsel holt's natürlich raus, und lange Zeit das Rätsel von B.S.



      Der Rest ist manchmal Werbeumfeld, doch einiges lässt sich lesen.

  • Hm, "pseudorebellisch"? Ich meine, Bellum heißt immerhin Krieg. Wär's besser, wenn die Bewegung die Rebellion will?

    Mir erklärt sich die Konklusion aus dem Artikel nicht, aber den Zeit-Artikel habe ich auch nicht gelesen. Und vorallem erklärt sich mir nicht, warum das(!) der springende Punkt sein soll. Dann sind sie halt nicht rebellisch. Und? Menschenverachtende Rechte sind es dann wohl immer noch.

    • @nanymouso:

      Ich las den Artikel, auch den originalen.



      Ich denke, da ist gar nicht die Rebellio als Straßenschlacht gemeint, sondern Frau Knobloch weist jüngeren Generationen die Aufgabe zu, die hätten von links aufzubegehren, vielleicht, damit Fr. Knobloch selbst in Ruhe ihren Lebensweg mit "erzählendem Journalismus" im Pressehaus am Hamburger Speersort gehen mag.



      Wenn die Mods/Popper/Yuppies von heute das mal nicht tun, schreibt mensch halt für gutes Zeilenhonorar darüber, dass mensch nicht zur Party reindarf (das versichert einen selbst, dass mensch noch nicht ist wie die da).

      Artikel müssen gar nicht links sein, nebenbei, sie müssen nur gut sein, richtig gut.



      Das hier freilich war etwas, was eher an die Delle des Journalismus der von-Uslar-Zeiten erinnert.