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Zeichentrickserien verändern sichKindheitsheld*innen im Remake

Dünner, freundlicher, harmonischer: Die Zeichentrickfiguren von damals haben sich gewandelt – nicht nur äußerlich.

Heidi – vorpubertäre Naivität, eingebettet in ein Alpenpanorama Foto: studio 100 media

Die Sorglose

Vorlage: Johanna Spyri:„Heidi“ (1880 und 1881)

Erste Zeichentrickserie: 1974 in Japan, 1977 im ZDF

Neuauflage: 2015

Deutscher Titelsong: Gitti und Erika (alt), Andreas Gabalier (neu)

Heidi hat an Babyspeck und an roten Backen eingebüßt. Sie kichert mehr, hat eine piepsigere Stimme und weint öfter. Ihre besonnene und sorglose Art aber blieb ihr erhalten. Am meisten gewandelt haben sich vor allem die Nebencharaktere der Serie.

Zum Beispiel Heidis Tante Dete, die das Kind nach dem Tod ihrer Eltern zu sich nahm. Dete, die im Roman 1880 als großes, kräftiges Mädchen beschrieben wird, hat zwar Bedenken, das Kind zum Almöhi zu bringen, tut es aber trotzdem. Die Dete aus der ersten Serie nimmt lieber eine Stelle in Frankfurt an, als sich um das Kind zu kümmern. In der neuen Serie jedoch ist Dete blass und dünn und weint aus schlechtem Gewissen, weil sie Heidi nicht pflegen kann.

Almöhi, Heidis Großvater, wird in der neuen Serie erstmals als furchteinflößendes Monster beschrieben. 1974 war er nur der alte Griesgram, der nicht mal am Sonntag in die Kirche kommt. Der Peter heißt in der neuen Serie nicht Geißenpeter sondern Geißengeneral. Heidi und Peter sind ungefähr gleich alt. In der alten Serie war Heidi 5 und Peter 11.

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Die Antiautoritäre

Biene Maja – die hinterfragende Hippie-Biene Foto: studio 100 media

Vorlage: Jakob Ernst Waldemar Bonsels: „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ (1912)

Erste Zeichentrickserie: 1975 in Japan, 1976 im ZDF

Neuauflage: 2013

Deutscher Titelsong: Karel Gott (alt), Helene Fischer (neu)

Die kleine Biene Maja und ihr Freund Willi haben in der Neuauflage einige Kilo abgespeckt. Wie Heidi wirkt auch Maja etwas mädchenhafter, lacht und kichert sich durch die Folgen. Ansonsten unterscheidet sich die neue Maja nicht allzu sehr von der Hippie-Biene der 1970er Jahre. Alles, was neu für sie ist, wird hinterfragt.

Die Wespen, in den 70er Jahren noch Majas Feinde, sind heute etwas netter. Die Wiesenwelt ist insgesamt viel freundlicher geworden. Von wem sich die neue Maja allerdings deutlich unterscheidet, ist die Biene der Romanvorlage aus dem Jahr 1912. Auch die von dem Antisemiten Waldemar Bonsels geschaffene Biene war neugierig, ihrer Königin jedoch treu ergeben. Diese schickte die Bienen zur „Verteidigung des Reichs“ gegen die Hornissen aus.

In der Serie respektiert Maja zwar die Autorität der Bienenkönigin, bevorzugt aber ein freies Leben ohne die Zwänge im Bienenstock und lebt lieber auf der Wiese. Auch die Figur des antiautoritären, faulen Willi wurde erst für die Serie erfunden.

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Der Tollpatsch

Calimero – der Antiheld mit italienischen Wurzeln Foto: ap

Vorlage: Werbespot der italienischen Waschmittelmarke Ava

Erste Zeichentrickserie: 1972 in Japan und im ZDF

Neuauflage: 1992 in Japan, 2014 in Frankreich

Deutscher Titelsong: Kinderchor (alt), Tom Luca (neu)

„Ich bin klein und schwarz, und das ist ungerecht,“ sagt das kleine Küken Calimero, als es von einem Straßenmusiker um sein Geld betrogen wird. Eine blonde Frau hebt ihn hoch und erklärt ihm, dass er nicht schwarz sei, sondern schmutzig. Dann wäscht sie ihn mit einem Wachmittel, und das Küken wird weiß.

Die Szene stammt aus einem Werbespot für das italienische Waschmittel Ava von 1963. Ab 1972 durfte Calimero schwarz bleiben und erhielt seine eigene Serie. Das Küken aus Palermo mit der halben Eierschale auf dem Kopf hat sich auch in der Neuauflage optisch kaum verändert. Seine Clique schon. Calimeros beste Freundin Priscilla trägt noch immer ein Prinzessinnenkostüm, spielt aber die Spiele der Jungs mit. Von seinem Mitschüler Piedro wurde der alte Calimero gehänselt, weil er nicht Fußball spielte, sondern lieber „Priscilla schöne Augen machte“.

Heute spielen die vier Kinder gemeinsam. Aus Calimeros Feinden wurden seine Freunde. Piedro, heute Peter, früher ein Lausbub, ist heute ein gutmütiger Tollpatsch. Calimero, der früher tollpatschig war, ist heute der Held.

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Der Vernünftige

Wickie – das vernünftige Gegenstück zum männlichkeitsdominierten Wikingermythos Foto: studio 100 media

Vorlage: Runer Jonsson: „Vicke Viking“, 1963

Erste Zeichentrickserie: 1974 im ZDF

Neuauflage: 2014

Deutscher Titelsong: Bläck Fööss (alt, damals als Stowaways), Madsen (neu)

Kämpfende und raubende Männer, die sich, sobald sie das Haus betreten, ein Bier einschenken, und der kleine kluge, feige Junge, der mit ihnen zur See reist. So erinnert man sich an die Serie „Wickie und die starken Männer“.

In der Neuauflage sind die Wikinger abstinent geworden. Und auch sonst haben sie sich stark verändert. Sie kämpfen nicht mehr andauernd. Kein „Rudert, ihre faulen Säcke!“ ist aus Halvas Mund zu hören. Seine Frau nennt er nicht mehr „Weib“ sondern „Ilma“. In Wickies Elternhaus war es nicht immer rosig. Ilma und Halva stritten gern über eine ganze Folge hinweg. Oft über die richtige Erziehung ihre Sohns. Halva bezeichnete Wickie als feige Memme und schämte sich für seinen Sohn.

Heute kriegt Halva einen Kuss von Ilma, Wickie von Ilvy. Wickie muss seinem Vater nicht mehr beweisen, dass es Vorteile hat, klug zu sein. Wickie ist ein kluger, mutiger Held, der vor den Wölfen nicht mehr wegläuft. Der ZDF-Redakteur Götz Brandt erklärt das damit, dass ein verändertes Bild auf Wölfe berücksichtigt wurde und Wickie nie feige war, sondern vernünftig.

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1 Kommentar

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  • Bin ich froh, dass ich in den 70ern die Serien schauen konnte...

     

    Und es hat immer mindestens eine Woche gedauert, bis eine neue Folge ausgestrahlt wurde - also "Spannung und Vorfreude" und dazwischen einfach selbst spielen und sich draußen vertun.