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■ Zehn Jahre nach Chomeinis „Fatwa“ gegen Salman Rushdie wachsen in der islamischen Welt weiter die Zweifel an ihrer RechtmäßigkeitDie Geschichte eines Mordaufrufes

Vor zehn Jahren löste Chomeinis „Fatwa“ gegen Salman Rushdie weltweit Entsetzen und Abscheu aus. Zu Recht. Der Autor wurde zum lebenden Beweis für die Intoleranz des Islam. Zu Unrecht. Wie Judentum und Christentum stützt sich auch der Islam auf heilige Schriften, auf normative Texte. Und normative Texte kann man wie Steinbrüche benutzen, aus denen sich Menschen, die ihre Macht durch Religion legitimieren, das herausbrechen, was beweiskräftig zu sein scheint.

Dem Bemühen westlicher Orientalisten und Islamwissenschaftler, durch eine differenzierte Betrachtungsweise Schadensbegrenzung zu betreiben, war nur geringer Erfolg beschieden. Das in unserem Kulturkreis vorhandene Feindbild Islam hatte eine grelle neue Farbe bekommen. Der Hauptfehler der meisten Islamwissenschaftler bestand darin, daß sie verharmlosten, wo es anzuklagen galt. Erst in den letzten Jahren haben sich verstärkt Islamwissenschaftler zu Wort gemeldet, die zwar eine differenzierte Betrachtung fordern, andererseits aber die „Fatwa“ als das bezeichnen, was sie ist: ein schlichter, auch nach den Maßstäben der Scharia unzulässiger Aufruf zum Mord.

Eine Fatwa ist ein Rechtsgutachten, das auf Ersuchen eines Muslims von einem dazu ermächtigten und entsprechend ausgebildeten Theologen zu einem Sachverhalt erstellt wird – auf keinen Fall ad personam. Hier liegt der erste gravierende Fehler von Chomeinis Fatwa, da in ihr Rushdies Name ausdrücklich genannt wird. Ferner ist eine Fatwa ausführlich mit einschlägigen Koranversen und Prophetenworten zu begründen, um eventuelle Analogieschlüsse zu rechtfertigen. Dies fehlt in der nur wenige Schreibmaschinenzeilen umfassenden „Fatwa“ Chomeinis völlig. Weiterhin kann ein Todesurteil laut der Scharia nur von einem ordentlichen Gericht ausgesprochen werden, was jedoch nie der Fall war.

Oppositionelle schiitische Theologen im ausländischen Exil und angesehene sunnitische Geistliche vor allem in der arabischen Welt haben wiederholt auf diese Unzulänglichkeiten hingewiesen. Alle diese und berechtigte weitere Gegenargumente blieben jahrelang bei den herrschenden Kollegen im Iran ungehört – obwohl sie es allein von ihrer Ausbildung her natürlich besser wußten. Doch Chomeini war längst mit der Gloriole der Unfehlbarkeit versehen, und Kritik an seinem Denken und Wirken zu üben kam Blasphemie oder Landesverrat gleich – nicht unähnlich der Kritik an Marx und Lenin in der ehemaligen UdSSR oder an Kemal Atatürk in der Türkei.

Seit dem Machtantritt des liberalen Präsidenten Chatami scheint jedoch – gegen den erbitterten Widerstand der Konservativen um Chamenei – das Standbild Chomeini langsam an Patina zu verlieren. Im vergangenen Jahr hat der Iraner Mehdi Mozafferi, 58, der sowohl an der Sorbonne in Paris als auch an der Universität von Teheran unterrichtete und jetzt als Professor für Politische Wissenschaft in Aarhus/Dänemark lehrt, ein Buch unter dem Titel „Fatwa: Violence und Discourtesy“ (Fatwa: Gewalt und Unhöflichkeit) herausgebracht. Er weist – mit etwas anderen Argumenten – nach, daß es sich bei Chomeinis Verdikt über Salman Rushdie um keine rechtsgültige Fatwa handelt. Dies wäre nun nicht mehr weiter überraschend, wäre das Buch Ende vergangenen Jahres nicht im Iran selbst ausgiebig rezipiert worden.

Unter dem vielsagenden Titel „When is a Fatwa not a Fatwa?“ (Wann ist eine Fatwa keine Fatwa?) erschien in der der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA gehörenden Zeitung Iran Daily von der Journalistin Nora Boustany eine bemerkenswerte Besprechung dieses Buches. Boustany hebt besonders auf drei Aspekte ab: Erstens sei die „Fatwa“ gegen Salman Rushdie weder handschriftlich geschrieben noch von Chomeini unterzeichnet, noch gesiegelt worden (wie er es bei anderen Fatwas zu tun pflegte). Zweitens hat der allseits anerkannte – unseren Kirchenvätern vergleichbare – Theologe und Philosoph al-GhazzÛli bereits im 12. Jahrhundert den Grundsatz aufgestellt, daß „jemand, der politische Macht ausübt, keine Fatwa herausgeben kann, auch wenn er dafür voll qualifiziert ist“.

Tatsächlich erscheint im Text des Mordaufrufs gegen Salman Rushdie das Wort „Fatwa“ auch gar nicht. Fast genüßlich verfolgt Mozafferi den Weg zurück bis zur eigentlichen Quelle der Bezeichnung „Fatwa“ für den Mordaufruf. Erstmals habe, so Mozafferi, der französische Orientalist Olivier Roi drei Tage nach der Veröffentlichung des Mordaufrufs den Begriff „Fatwa“ dafür eingeführt. Und ebenso genüßlich zitiert die Rezensentin Mozafferis Quintessenz: „Bizarr ist, daß der Westen das Wort erfand und von anderen forderte, es zu annullieren.“

Es ist völlig irrelevant (und auch schwer nachprüfbar), ob dies wirklich so abgelaufen ist. Tatsache ist schließlich, daß nicht zuletzt im Iran selbst der Mordaufruf bald nur noch – unwidersprochen – unter der Bezeichnung „Fatwa“ firmierte. Und dennoch: Mozafferis These ist aus zwei Gründen geradezu genial: Zum einen baut er den schiitischen Geistlichen eine elegante Brücke, um die „Fatwa“ endgültig zu kassieren, ohne an der „Unfehlbarkeit“ Chomeinis allzusehr zu kratzen. Und andererseits macht er dies selbst den konservativsten Theologen dadurch besonders schmackhaft, daß er den „satanischen“ Westen und die westlichen Orientalisten, die den Konservativen ohnehin als oberste Helfer des Teufels gelten, als Urheber des ganzen Schlamassels ausfindig macht – was sich bestens in das Feindbild der Verschwörung des Westens gegen den Islam fügt.

Allerdings hatte Chomeini auch weder nach der Scharia noch nach der iranischen Verfassung das Recht, einen Mordaufruf in die Welt zu setzen. Zwar hat die Regierung Chatami inzwischen versichert, daß der Staat von einer weiteren Verfolung Rushdies Abstand genommen hat. Die Morde an oppositionellen Autoren Ende vergangenen Jahres haben aber gezeigt, daß sich Rushdie noch längst nicht sicher fühlen kann. Immerhin: Endlich kommt Bewegung in die Affäre. Anfang März wird in der syrischen Hauptstadt Damaskus ein Symposium zur Frage „Ist der islamische Fundamentalismus demokratiefähig?“ stattfinden. Veranstalter ist das dortige iranische Kulturzentrum, und eingeladen sind neben muslimischen Theologen aus dem Iran, aus Syrien und dem Libanon auch einige westliche Orientalisten! Zumindest von diesen wird gewiß auch Salman Rushdie zum Thema gemacht werden. Gernot Rotter

en erbitterten Widerstand der Konservativen um Chamen

Boustany hebt besonders auf drei Aspekte ab: Erstens sei die „

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